Corona Collision

1. Auch unter dem „Social Distancing“ leben die Menschen in der kapitalistischen Totalität nicht als eine Ansammlung von Robinsons auf Privatinseln, selbst wenn sich dieser Eindruck unter der gesamtgesellschaftlichen Teilung der Arbeit und der Fesselung der Individuen im beschränkten Umkreis ihres alltäglichen Lebens immer wieder herstellt. Ihre scheinbar privat und voneinander getrennt stattfindenden Arbeiten leisten sie für ein Unternehmen, für den Staat, für die Familie oder als Selbstständige. Erst durch vielfache ökonomische Vermittlungen hindurch, nach einem gelungenen Austausch als Ware auf dem (Welt)-Markt, erweist sich die privat verausgabte Arbeitskraft der Individuen, als Bestandteil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit. In der Corona-Krise tritt dieser Zusammenhang, die internationale Kombination der privaten Arbeiten, durch die weltweit gleichzeitig stattfindenden Stockungen in der Reproduktion ihrer stofflichen Grundlagen offen zu Tage.

Wenn in einer Exportnation wie Deutschland die viel zitierten mittelständischen Unternehmen, z.B. die Zulieferer in der Autoindustrie, unter den Beschränkungen der Pandemiebekämpfung nicht mehr produzieren und liefern können, dann betrifft dies nicht nur den Gesamtprofit des deutschen Kapitals und damit die jeweiligen Profitanteile dieser Zulieferer. Auch die Existenzgrundlage des Staats ist in Gefahr, da mit der Profitmasse auch der Teil des vom Proletariat abgepressten Mehrwerts, den er als Steuern bezieht, einbricht. Ebenso ist die Produktion in anderen Ländern betroffen. Bleiben die benötigten Warenlieferungen made in germany aus, wird man sich nach neuen Herstellern umsehen. Den Kapitalisten gehen „Marktanteile“ verloren und die Produktion von industriellen Halbprodukten, die bisher eine deutsche Kleinstadt mit Lohnarbeit und Steuereinnahmen am Laufen hielt, wird  vielleicht bald in einer asiatischen oder afrikanischen Produktionsstätte besorgt, um einer dortigen Gemeinde zu einer eigenen relativen Prosperität zu verhelfen.

Das Herunterfahren des öffentlichen Verkehrs und die Drosselung der Produktion bedingt das Brachliegen von fixem Kapital, von Maschinen und Produktionsanlagen. Für den einzelnen Kapitalisten wie für die jeweiligen Kapitalfraktionen bedeutet dies einbrechende Profite. Der stockende Fluss des Geldes behindert oder verunmöglicht die Rückzahlung eigener Kredite. Zinseinnahmen für gewährte Vorschüsse an andere Kapitalisten fallen aus. Die Unterbrechung der Warenströme bedeutet gleichzeitig eine Überproduktion. Waren wechseln nicht die Hände. Agrarprodukte vergammeln in den Lagerhallen, Autos werden nicht verkauft. Eine große Masse an Arbeiterinnen und Arbeitern wurde exploitiert, ihre Exploitation realisiert sich aber nicht für das Kapital, das Kapital kann sich nicht auf höherer Stufenleiter reproduzieren.[1]

Mit der Schließung der Grenzen kommt auch die Flüssigkeit der Ware Arbeitskraft innerhalb der großen Wirtschaftsräume wie Europa, USA, Russland, China ins Stocken oder zum völligen Erliegen. Die Verknappung der flexibel-verfügbaren Arbeitskräfte – nicht nur zur Saisonarbeit in der agrikulturrellen Industrie Europas sowie in der Tourismusbranche – kann im Fortlauf der Krise zu einem Ansteigen der Löhne führen, besonders dann, wenn die Reisebeschränkungen lange anhalten.[2] Der Kampf um Sondergenehmigungen zum Transport der benötigen Billiglöhner aus dem Ausland hat längst begonnen. Seit Mitte März werden hunderttausende osteuropäische Arbeiterinnen und Arbeiter für den Einsatz in Deutschland, Italien, Frankreich, Großbritannien und Österreich gesucht. Seit Anfang April werden sie u.a. mit Sonderflügen dorthin verbracht, wo ihre Arbeitskraft benötigt wird.[3] Die Regierungen ihrer Heimatländer unterstützen diese Transporte, liegt ihnen doch an den transferierten Devisen der Auslandsarbeiterinnen- und Arbeiter, welche die öffentlichen und privaten Kassen zuhause stützen. Die schiere Masse der fehlenden Arbeitskräfte und die Verzögerungen, welche ihre freiwillige Rekrutierung unter Bedingungen der Pandemie erfordert, sorgen dennoch auch in diesen Sektoren für einen Einbruch der Profite. In der Tendenz wirkt dies für die Kapitalisten als weiterer Antrieb zur Verbesserung der technischen Mittel zur Einsparung menschlicher Arbeitskraft überhaupt. Sie benötigen stets das Überangebot an Arbeitskraft, um Löhne drücken und auf immer höherer Stufenleiter akkumulieren zu können. Die anstehende Pleitewelle vieler Kapitalisten, bedingt eine Beschleunigung der Konzentration von Kapital in weniger Händen als zuvor. Je ein Kapitalist schlägt viele tot.

Das Verhältnis der permanenten Konkurrenz und gegenseitigen Abhängigkeit zwischen den Einzelkapitalen besteht auch für die Individuen und ihre Gemeinwesen im nationalen sowie im internationalen Maßstab.[4] Für alle Konföderationen der Produktivkräfte gilt, dass keiner alleine steht oder fällt, dass Stilllegungen hierzulande auch die Produktion in anderen Ländern betreffen. Die ökonomischen Mechanismen der auf dem Weltmarkt ineinander verschlungenen Warenkreisläufe sowie ihre gesellschaftlichen Auswirkungen drängen in der Coronakrise verstärkt ins Bewusstsein der Menschen; häufig auf bornierte, verkehrte und fetischistische Art und Weise.

2. In Anbetracht millionenfacher Pleiten und drohendem persönlichem Bankrott unter dem Risiko einer Infektion mit einem potentiell tödlichen Virus verstärkt sich der Schein, allein der Staat könne die Menschen vor den zerstörerischen Auswirkungen der Pandemie schützen. Es scheint, als würden die genannten Gesetze der kapitalistischen Akkumulation für ihn nicht gelten. Durch Bürgschaften, Kredite und Zahlungszuschüsse soll er Betriebe und Selbstständige vor den anrollenden ökonomischen Verheerungen bewahren. Als Garant der inneren Ordnung setzt er die Ausgangsperren durch, unterbindet Hamsterkäufe und erhält die Grundfunktionen des Gemeinwesens. Mit der Durchsetzung des „Social Distancing“ und einer anschließenden Impfkampagne, so die Hoffnung, wird er das Virus letztendlich unschädlich machen.

Der Staatsfetischismus wird noch befeuert durch das spektakuläre Bild Chinas, wo das Virus mit autoritären Maßnahmen angeblich zurückgedrängt werden konnte. Dabei sind die ökonomischen Möglichkeiten der chinesischen Despoten ebenso beschränkt wie die westlicher Regierungen. Als ideelle Gesamtkapitalisten unterliegt auch ihr Staatswesen den allgemeinen Bedingungen zur Akkumulation von Kapital und den über den Weltmarkt vermittelten Bewegungen des Werts. Ob deren Resultate ihnen als Überproduktion von Waren, als relative Überbevölkerung, als Negativpreis für Ölfässer oder als Börsencrash und Finanzkrise gegenübertreten mögen: Auch die Despoten der chinesischen KP können die Widersprüche an der ökonomischen Basis der Gesellschaft nicht beherrschen. Die wichtigste Existenzbedingung des Staats bleibt die fortgesetzte, erfolgreiche Verwertung aller Glieder des nationalen Gesamtkapitals.

In Wirklichkeit sind den Staaten enge Grenzen gesetzt. Mit Kurzarbeitergeld, Lockerungen der Arbeitszeitregelungen und Bürgschaften der KFW-Bank mögen sich viele Pleiten und Kündigungen hierzulande für einige Monate herauszögern lassen. Die steigenden Zinsen, die für die nötigen Kredite auf dem internationalen Geldmarkt in Kauf genommen werden müssen, machen diesen Weg des weiteren Krisenaufschubs jedoch endlich. Die Staatschulden können nicht willkürlich und in alle Ewigkeit erhöht werden. Wie jedes Einzelkapital kann auch der Staat seine Bonität verlieren und als potentieller Kreditempfänger ausfallen. Seine Anleihen können als Sicherheit nutzlos werden, der Wert seiner Währung am internationalen Finanzmarkt gen Null tendieren. Er geht bankrott. Jenseits des Verschiebens gigantischer Summen von Leihkapital bedingt eine willkürliche Vergrößerung der zirkulierenden Geldmenge durch das Drucken von zusätzlichem Geld zur Bezahlung von Löhnen und Waren eine Entwertung der einzelnen Geldwertzeichen. Diese müssten in vergrößerter Masse eine relativ gleich gebliebene oder sinkende Menge an produzierten Waren repräsentieren.[5] 

Der in den letzten Wochen stetig anwachsende Verlust von öffentlichen und privaten Einnahmen drängt mit aller Macht auf die Erkenntnis, dass das Einfrieren des allgemeinen Warenverkehrs, der Lockdown, nicht unendlich verlängert werden kann. Eine weitere Fortsetzung setzt die Individuen in einen sich permanent verschärfenden Widerspruch zu den ökonomischen Vorrausetzungen der Reproduktion ihres individuellen gesellschaftlichen Lebens. Dessen stoffliche sowie vom Wert bestimmten Voraussetzungen müssen immer wieder aufs Neue in den Betrieben vor Ort und in der internationalen Waren- und Geldzirkulation geschaffen werden.

3. Vom tendenziellen Fall der Profitrate, dem Zwang zur permanenten Plusmacherei getrieben, vergrößert das Kapital unablässig den Kreis der voneinander unterschiedenen Arbeiten, weitet den Zirkel der Konsumtion aus und setzt immer größere Massen an Proletarisierten in Bewegung und damit in zusätzlichen Kontakt untereinander. Einerseits werden die Proletarisierten zunehmend vereinzelt, durch die sich steigernde Arbeitsteilung. Sie erleiden die Entfremdung unter der Einseitigkeit der Arbeit die sich verrichten müssen, auf verschiedenen Plätzen und auf sehr unterschiedliche Weise.[6] Andererseits kommen sie sich täglich näher aufgrund der sich rasant entwickelnden Produktivkräfte, konkret: Kommunikationsmittel, Smartphones, Internet, aber auch durch die zunehmende Mobilität der Ware Arbeitskraft selbst.

Unter den Imperativen des Kapitals wachsen die Verbindungen zwischen den Menschen aller Weltregionen als in seiner Gesamtheit ungeplant-wucherndes Geflecht. Für die einhergehende tendenzielle Multikulturalität der Gesellschaften hat sich niemand freiwillig entschieden.[7] Der kapitalistische Weltmarkt schaffte das internationale Milieu, auf dem eine lokale Epidemie zu einer globalen Pandemie reifen konnte, ganz so wie im 19. Jahrhundert die Bewegung des (Handels)Kapitals über den Erdball hinweg die Ureinwohnerinnen und Ureinwohner Nordamerikas mit der Pockenkrankheit Europas in Verbindung brachte.[8] Die Verbreitung von Covid19 entspricht den Verkehrswegen der Ware Arbeitskraft, der Menschen über den Globus. Die chinesische Region Wuhan war der Ausgangsort der Pandemie. Hier gelangte das Virus aus dem Tierreich in die menschliche Gemeinschaft. Die Metropolen entwickelten sich rasch zu neuen Zentren der Ausbreitung, weil das Virus dort auf Menschenansammlungen traf, unter denen es sich optimal ausbreiten konnte.[9] Die Weltmetropolen als Knotenpunkte des Waren- und Virentauschs. Die in den unterschiedlichen Weltregionen voneinander unterschiedene Geschwindigkeit der Ausbreitung des Virus ist auch ein Indikator für den dortigen Grad der Teilung der Arbeit, der Entwicklung der Trennung von Stadt und Land sowie des Ausbaus der Verkehrswege und der öffentlichen Infrastruktur.

Das Kapital expandiert, indem es die vorhandene Arbeit durch weitere Zergliederungen der Arbeitsprozesse im zunehmend weltweiten Maßstab auf eine immer größere Masse an Händen verteilt. Jede zusätzliche Teilung der Arbeit, erzeugt zusätzliche Bedürfnisse. Einerseits affiziert das Erlernen bestimmter Fähigkeiten zu einem einseitigen Zweck das Bedürfnis zur erweiterten, möglichst universellen Anwendung eben dieser Fähigkeiten. Andererseits limitiert die Einseitigkeit der Lohnarbeit – und der durch die weltweite Konkurrenz bestimmte Preis ihrer Verausgabung – die sozialen Möglichkeiten der Proletarisierten zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse. Das Kapital erzeugt auf der einen Seite der Gesellschaft einen immer größeren materiellen und geistigen Reichtum, der die Bedürfnisse Aller reizt. Auf der anderen Seite eine an den realen Möglichkeiten zum Genuss dieses Reichtums gemessene, relative Verelendung der Massen, zusätzliche Entfremdung vom Produkt der eigenen Arbeit aufgrund der gesteigerten Teilung der Arbeit, d.h. zusätzliche Nichtbefriedigung der gesellschaftlich gemachten, körperlichen, geistigen und sozialen Bedürfnisse. Die Warenwelt befriedigt die Bedürftigen, nur um sie danach umso bedürftiger zurück zu lassen. Dabei ist die Zusammensetzung und Beschaffenheit der individuellen „Bedürfnisbündel“ (S. Freud) nicht fix. Ihrer Tendenz nach folgen sie den Bewegungen an der ökonomischen Basis der Gesellschaft, bedeuten geradezu einen seelischen Widerhall auf diese. Inwiefern und auf welche Weise sich die Bedürfnisse, d.h. Eigenschaften der Menschen entwickeln, inwiefern sie lokale Borniertheiten überschreiten oder in ihnen befangen bleiben, hängt vom allgemeinen Weltverkehr, der Vergesellschaftungsweise und von dem Anteil ab, den sie in ihrer jeweiligen Lokalität am gesamtgesellschaftlichen Stoffwechselprozess haben.[10]

Die auf diese Weise historisch gewordenen Bedürfnisse, die das Leben des modernen Menschen bestimmen, ob sie dem Magen oder der Phantasie entspringen, können in zunehmendem Maße nur noch auf dem Weltmarkt befriedigt werden. Das Kapital kann unter Verhältnissen der allseitigen Konkurrenz nicht zu einem niedrigeren Grad der weltweiten Arbeitsteilung zurück, genauso wenig wie zur Verwendung der Dampfmaschine. Alle nun einsetzenden Unkenrufe einer „Überdehnung der Lieferketten“, einem Zuviel an Globalisierung, werden, wenn sie sich ideologisch und politisch durchsetzen, nur zu neuen Donquichotterien führen können, welche das globale Proletariat bitter zu bezahlen haben wird.

4. Wie die politische Macht, auf Grundlage der zur Verfügung stehenden Produktionsmittel, mit den Bedürfnissen ihrer Bevölkerungen umgeht, ist selbst bedingt von den gesellschaftlichen Vorraussetzungen, unter denen die Herausbildung kapitalistischer Produktionsverhältnisse in den verschiedenen Regionen der Erde stattfand. Die Entwicklung des Kapital-Lohnarbeits-Verhältnisses innerhalb der feudalen Gesellschaften Westeuropas vollzog sich, indem die Bourgeoisie die Feudalherren entmachtete und als neue herrschende Klasse die vorangegangenen Produktionsverhältnisse revolutionär beseitigte, bzw. unter eigenen Vorzeichen transformierte und perpetuierte. Die Proletarisierten wurden durch die Trennung von ihren eigenen, althergebrachten Produktionsmitteln doppelt frei, befreit nämlich von der unmittelbaren Knechtschaft durch Adel und Klerus, „befreit“ aber auch von ihrer bisherigen Subsistenzwirtschaft und Hausmanufaktur (u.a. durch blutige Enteignungen). Als Rädchen im unübersichtlichen Getriebe der Fabrik, als Wanderarbeiter oder tätig im Handel konnten sich die ehemaligen Leibeigenen zu modernen Individuen der heutigen, sehr komplexen Klassengesellschaft des „Global Village“ fortbilden, weil die permanente Konkurrenz unter der kapitalistische Produktionsweise selbst ihnen die hierfür nötigen Fähigkeiten abverlangte. Unter den Bedingungen des permanenten Austauschs denken und handeln sie heute gesellschaftlicher denn je, selbst dort, wo sie noch von den Resten vergangener Produktionsverhältnisse, z.B. unter der despotischen Herrschaftsweise der chinesischen KP, stärker gefesselt bleiben müssen als die Proletarisierten im relativ freien Westen. Auch ihre Bedürfnisse treiben sie potenziell über die bestehenden Verhältnisse hinaus: Psychisch, indem sie in einen scharfen Gegensatz zur herrschenden Moral geraten, z.B. ihre sexuellen Neigungen und Perversionen betreffend. Künstlerisch, als gedachte Vorwegname des potenziell Möglichen. Unter den Lebensbedingungen des relativ freien Westens auch politisch, in den Gremien, in denen die auf den ökonomischen Entwicklungen fußenden sozialen Widersprüche, die alle Klassen und Individuen der Gesellschaft betreffen, ausgefochten werden.[11] Die ökonomische Überlegenheit der westlichen Staaten beruht auch darauf, dass diese nach allen Richtungen treibenden Bedürfnisse der Individuen immer wieder vermittelst politischer Aushandlungsprozesse eingemeindet und zur Verbesserung der Methoden zur Ausbeutung der Proletarisierten genutzt werden können.[12]

5. In Russland und China nahm die Entwicklung hin zum heutigen Staatskapitalismus einen anderen Verlauf als im Westen. Auch wenn sich die Staatsführungen beider Länder in ihrer unmittelbaren Herrschaft über die Proletarisierten, als Gesellschaften der relativen Unfreiheit ähneln, ist ihre historische Genese eine voneinander unterschiedene.[13] In China hat sich das Verhältnis von Kapital und Lohnarbeit nicht innerhalb der heimischen ökonomischen Verhältnisse unter dem Druck des privaten Kapitals entwickelt. Mit der Entwicklung des industriellen Kapitals in Europa setzte das Kolonialsystem die Chinesen, die bis dahin auf der Basis einer eigenen, vorkapitalistischen, asiatischen Produktionsweise ihren gesamtgesellschaftlichen Stoffwechsel mit der Natur bewerkstelligten in einen Zusammenhang mit dem sich gerade entwickelnden Weltmarkt. Die kapitalistische Warenproduktion zersetzte die vorherige Produktionsweise, ohne aber alle ihre ökonomischen und gesellschaftlichen Elemente auf einen Schlag zu zerstören. Subsistenzwirtschaft und häusliche Manufaktur bestimmten bis zur so genannten Kulturrevolution das Leben der meisten Chinesen. Auf dieser ökonomischen Basis erhielten sich Momente der alten Herrschaftsweise. Die roten Mandarine der chinesischen KP verwandelten China in einen staatlich gelenkten Kapitalismus, der sich nicht durch die doppelte Freiheit der Proletarisierten auszeichnet, sondern durch die unmittelbare Herrschaft über ebenjene, bei gleichzeitiger „Befreiung“ von eigenen Produktionsmitteln.

Auch in Russland gab es keine eigenständige bürgerliche Revolution. Auch hier wurde kurz nach der Oktoberrevolution unter dem Druck des kapitalistischen Weltmarkts eine Herrschaft der KP befestigt, die viele Elemente des vorangegangenen Zarismus fortführte, z.B. das Gulag-System der Verbannung von Dissidenten in Arbeitslager, das Geflecht der Geheimdienste und der zentralisierten Macht des Kremls. Über die verschiedenen ökonomischen und gesellschaftlichen Brüche hinweg hat sich auch dort eine Despotie etabliert, unter der die über die bestehenden Verhältnisse hinausweisenden Bedürfnisse der Proletarisierten zur Aufrechterhaltung der kapitalistischen Akkumulation direkt unterdrückt statt produktiv eingemeindet werden müssen. Ähnlich wie in anderen Despotien, die sich ein sozialistisches, nationalistisches oder islamisches Gepräge geben, bleibt die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte auch in Russland gehemmt. Unter der Despotie können diese nur auf der technischen Seite, als Verbesserung der Maschinerie oder durch Methoden der Steigerung des absoluten Mehrwerts, der intensivierten Auspressung der Arbeiterinnen und Arbeiter, entwickelt werden. Die größte Produktivkraft aber, der Mensch selbst, muss gefesselt bleiben. Seine Bedürfnisse, Fähigkeiten und Potentiale sollen nicht über ein bloß vorgestelltes Normalmaß hinaustreiben. Jede Abweichung von den vorgegebenen Normen wird als Bedrohung empfunden und muss drakonisch bestraft werden.

Weil sich aber auch die Bedürfnisse der Proletarisierten unter den diversen, despotischen Herrschaftssystemen nicht mehr ausschließlich lokal entwickeln, sondern zunehmend von den Verkehrsbedingungen des (vom globalen Westen nach wie vor dominierten) Weltmarkts bestimmt werden, wäre zu erwarten, dass die staatskapitalistischen Regimes zur Transformation in einen freieren Staat westlicher Prägung getrieben werden. Die kapitalistische Reproduktionstotalität beruht aber nicht auf dem bloßen Formwandel der staatlichen Herrschaft über die Proletarisierten, sondern grundlegend und weltweit auf der Trennung der Produzierenden von den Produktionsmitteln. Weil die gesellschaftlichen Resultate unter diesem entfremdeten Verhältnis prinzipiell widersprüchlich sind, ist die politische Entwicklung in kapitalistischen Gesellschaften nur eine der Tendenz nach. Finden neue, unerwartete Ereignisse wie die Coronakrise statt, kann sich eine bisherige gesellschaftliche Tendenz ins Gegenteil verkehren. Als Vertreter einer autoritären Superstruktur zur unmittelbaren Herrschaft über die Proletarisierten, einer „sozialistisch“ sich gebenden, in Wirklichkeit aber staatskapitalistisch organisierten Despotie, stehen der chinesischen KP-Führung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie tatsächlich ungleich mehr Instrumente des unmittelbaren Zwangs gegen die Proletarisierten zur Verfügung als den Herrschenden hierzulande, nicht nur in Bezug auf das Tracking per staatseigener App, mittels derer in China eine umfassende Überwachung bewerkstelligt und so die Wege der Infektion effektiv verfolgt werden können. Die Bilder der rücksichtslosen Bündelung und zentralistisch dekretierten Ausrichtung der gesamtgesellschaftlichen Arbeitskraft, für die die asiatischen Despotien bekannt sind,[14] beeindrucken auch hierzulande diejenigen, die über ihr gesteigertes Leiden am prinzipiellen „Chaos in der Welt“ (C. Fourier) ihrer relativen Freiheit zunehmend überdrüssig zu werden scheinen.

Die Herausbildung geopolitischer Blöcke zwischen Gesellschaften der vermittelten, indirekten Herrschaft über die Proletarisierten (USA und Europa) und Gesellschaften der unvermittelten, direkten Herrschaft über die Proletarisierten (Russland und China) ist keine geographische oder historische Konstante, sie verläuft nicht entlang absoluter Grenzen.[15] Stets sind Elemente der einen ökonomischen und politischen Formation auch in der anderen zu finden und prägen, je nach Interessenlage der Kapitalfraktionen vor Ort, die Klassenkämpfe sowie die Bedürfnisse der Individuen. Stets existieren in vielen Ländern – etwa in Osteuropa oder Lateinamerika – mannigfache Zwischenformen und Schattierungen, die wiederum durch ökonomische Abhängigkeiten zwischen den Staaten und die örtlichen sowie historischen Bedingungen, auf denen sie aufpfropfen, geprägt werden. Auf diese ökonomischen und ideologischen Widersprüche zielt die in der Coronakrise intensivierte Propaganda der russischen und chinesischen Dienste. Ihre Desinformationskampagnen sind nicht nur darauf aus, die Verantwortung der chinesischen KP für den katastrophalen Verlauf der Pandemie zu verschleiern. Sie sollen auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt in den privatkapitalistischen Ländern insgesamt erschüttern. Im Westen soll Unruhe und Zwietracht geschürt werden, um die Regierungen während der kommenden ökonomischen Auseinandersetzungen handlungsunfähig und die Züge des Gegners berechenbar zu machen. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass die finanzkräftige Unterstützung von rechtspopulistischen Parteien durch russisches Oligarchenkapital, der Aufkauf ganzer Wirtschaftseinheiten durch chinesische Investoren sowie das stete Kreuzfeuer von Geheimdiensten und Trollfabriken aus diesen Ländern die westlichen Gesellschaften nachhaltig destabilisieren können.[16] Der erbitterte Konkurrenzkampf um die Übernahme der während des Lockdowns gemachten Verluste zwischen und innerhalb der ökonomischen und politischen Blöcke wird weiterhin auch in diesen Formen ausgetragen werden. Das letztendliche Ziel der verdeckten Kriegsführung des despotischen Lagers ist es, die anhaltende Dominanz des Westens auf dem Weltmarkt abzubauen und immer größere Teile des Globus auch auf ökonomischem Wege unter die eigene Verfügungsgewalt zu bringen.

6. Die Coronakrise wirkt als Beschleuniger der schon zuvor vorhandenen ökonomischen und politischen Widersprüche der Gesellschaft. Widersprüchliche Entwicklungen, die ansonsten Jahre zu ihrer weiteren Entfaltung gebraucht hätten, verlaufen nun wie im Zeitraffer und kommen in sehr kurzen Zeitabständen zur Kenntlichkeit. Den Proletarisierten kommt nicht nur ihre allseitige Abhängigkeit vom Weltmarkt verstärkt zu Bewusstsein, sondern auch der Klassencharakter der Gesellschaften, in denen sie leben. Ein Prozess, der sich mit den kommenden Pleiten im Kleinbürgertum auf weitere Bevölkerungsteile ausweiten wird. Dieser Umstand, den die Linken als politische Trittbrettfahrer zu nutzen trachten, bedeutet jedoch keineswegs realistischere Aussichten auf eine communistische Inbesitznahme der Produktionsmittel. Es sind nicht die Gedankenblitze und plötzlichen Erkenntnisse die das Handeln der Menschen bedingen, sondern ihre materiellen Lebensbedingungen, die Erfahrungen ihres Alltags, welche von Kindheit an zu ihrer klassenmäßig bestimmten Persönlichkeit als individuelles Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse geronnen sind. Mit der unsichtbaren Verseuchung der vertrauten Umgebung, dem Wachrufen apokalyptischer Bilder und der Mobilisierung infantiler und animistischer Regungen im Angesicht der plötzlich omnipräsenten Todesdrohung kommen zentrale Elemente des Freud‘schen Unheimlichen zusammen, die heftige und potenziell unbegrenzte Ängste mobilisieren. Es ist kein bloßes Resultat neoliberaler Verblendung, dass in Krisenzeiten die Umfragewerte der Regierung(en) steigen. Als ideologische Superstruktur des Kapitals, als politisches Organ der Individuen über den Individuen, als „weltliche“ Erscheinungsform des gesamtgesellschaftlichen Über-Ichs, erscheint sie vielen Individuen als einzig handlungsfähige Instanz.

Dem Staat brechen nun massiv die Steuereinnahmen weg und schon früh lancierten die Ideologen unterschiedlichster Couleur ihre Hinweise, wer diesen Ausfall ihrer Meinung nach kompensieren soll. Die breite Masse der Proletarisierten fällt als zu melkendes Steuervieh aus. Eine ideologische Grenze zur weiteren Verelendung der Masse an (mehr oder weniger) prekär Beschäftigten scheint erreicht zu sein. Zur weiteren Besteuerung fallen auch die Bauern weg, da diese ohnehin nur noch durch massive staatliche Subventionen überleben können. Eine neue Kapital- oder Finanztransaktionssteuer, wie sie linke Sozialstaatsphantasten seit über zehn Jahren nicht müde werden zu fordern, gefährdet den Kapitalfluss im internationalen Kreditsystem, von dem die Staaten vermittelst der Zentralbanken selber abhängig sind. Gleichzeitig darf die Kaufkraft nicht weiter sinken. Schon jetzt spricht etwa Markus Söder von radikalen Steuersenkungen, die nach der medizinischen Bewältigung der Coronakrise anstehen, damit auf die Zunahme der Masse an verdienstlosen Arbeitskräften nicht ein Nachfrage-Tief und eine weitere Verschärfung der Krise folgt. Kreative, Eventmanagerinnen, Gastronomen, in wachsendem Maße wie in den USA auch selbstständige Handwerkerinnen, müssen ihre Kredite und laufende Ausgaben bedienen und dürsten deshalb nach staatlichen Finanzspritzen und einer fortgesetzten Alimentierung. Ihre Verbände machen mobil, ebenso der Bund Deutscher Industrie. Sie alle fordern die Lenkung der ökonomischen Krisenmanagements in ihrem partikularen Interesse, das sie als Interesse der ganzen Gesellschaft zu verkaufen suchen.

Die Klasse der Kapitalisten tritt nun schlagartig in eine Verlustphase ein, die in mehreren Wellen vor sich gehen wird. Die Eigentümerinnen und Eigentümer einzelner Kapitale und ihre politischen Assoziationen werden versuchen, nicht oder in einem geringen Maße daran teilzuhaben. Eigene Verluste sollen durch Staatsdirektiven auf andere Kapitalisten abgewälzt werden. Ihre Konkurrenz und die von ihr nur der Form nach unterschiedene Konkurrenz zwischen den Staaten, wird größere Ausmaße annehmen als zuvor. Neue Finanz- und Staatsschuldenkrisen werden als Vorboten der lange andauernden Stockungen im stofflichen Reproduktionsprozess des Kapitals folgen. Es muss und wird zu Staatsbankrotten kommen, wenn die Mittel des Deficit Spendings ausgeschöpft sind oder aber zur Inflation im großen Maßstab. Hiermit geraten die bisherigen ökonomischen und politischen Verhältnisse als Ganzes in Gefahr.

Eine mögliche Reaktion der Herrschenden auf das Dilemma ist eine zusätzliche Spaltung der Proletarisierten. Ihre (vorgeblichen) Repräsentanten, die sich nun unter dem Banner der reformistischen Linken zum ideologischen und parlamentarischen Angriff sammeln, dürfen unter keinen Umständen weitere Macht im Staat und den sozialen Institutionen erhalten. Stattdessen müssen die potenziell rebellischen Regungen der Lohnarbeiterinnen und Lohnarbeiter – nicht zuletzt in Form von rechten Verschwörungsgemeinschaften – durch Scheininstitutionen, neue Gesetze und Public Relations (#wirhaltenzusammen, #krisenhelden) besänftigt werden. Die Regierungen Europas müssen versuchen, einen sozialen Anschein zu wahren und dennoch die Grundfesten der bürgerlichen Ordnung, v.A. aber der ökonomischen Struktur der Wirtschaft zu erhalten. Das mag – zumindest unter Merkel und in Deutschland – einen Green New Deal und andere, technisch-industrielle Umstrukturierungen einschließen, wie sie nicht nur die Theoriebüttel der Rosa-Luxemburg-Stiftung, sondern mittlerweile auch der BDI anempfiehlt.[17] In der aktuellen Krisensituation verwischen die Grenzen zwischen den politischen Lagern. Um die stofflichen Vorrausetzungen zur fortgesetzten Akkumulation des deutschen Gesamtkapitals über die Coronakrise hinweg zu bewahren, sind die ideellen Gesamtkapitalisten selbst zu vermeintlich sozialistischen Maßnahmen gezwungen, die sie vor wenigen Wochen noch als ideologischen Irrweg verteufelt hätten.[18]

7. Die Hauptträger der staatssozialistischen Ideologie in Deutschland sind die Reste der DDR-Bourgeoisie rund um die Linkspartei und ihre Organe sowie die mit der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise und ihres staatlichen und rechtlichen Überbaus zahlenmäßig anwachsende Schicht der Führungskräfte.[19] Ihnen zur Seite steht eine außerparlamentarische, labile und demoralisierte „radikale“ Linke, die ihren politischen Idealismus und Voluntarismus traditionell als revolutionäre Politik zu verkaufen sucht. Die politische Praxis dieser Leute bestand schon immer darin, dem revolutionären Entwicklungsprozess des Proletariats vorzugreifen, ihn künstlich zur Krise zu treiben, eine Revolution aus dem Stegreif zu veranstalten, ohne die dafür notwendigen Bedingungen zu beachten. In ihrer Vorstellung ist die einzige Bedingung zur Revolution die Ausrichtung ihrer gemeinsamen Interessen und Motive in politischen Zirkeln, unsichtbaren Komitees, Karrierenetzwerken und selbstreferentiellen Szene-Bubbles.[20] Sie sind die „Alchimisten der Revolution“ und teilen spiegelbildlich die Ideenzerrüttung, Borniertheit und die fixen Vorstellungen der herrschenden Klasse, um sich selbst an die Schaltstellen der Gesellschaft zu setzen.

Spontane Besetzungen von Betrieben, wie sie nun mancherorts unter dem verschärften Leid der Coronakrise stattfinden, mögen beeindruckend sein und ihren Protagonistinnen ist für die Zeit nach den nun anstehenden Kündigungen nur Bestes zu wünschen. Individuelle und lokal beschränkte Akte der Rebellion können jedoch nicht hinwegtäuschen, über die praktische Hilflosigkeit der Linken allerorten, die sich aus den akademisch Gebildeten rekrutiert und ein paar verheizte „Genossinnen und Genossen“ an den Randgebieten Marseilles oder Buenos Aires gut verkraften können.[21] Alle verzweifelten Bemühungen des autonomen Freistrampelns von den ökonomischen Zwängen müssen aufgrund ihrer praktischen Unmöglichkeit der Linkspartei und ihre Satrapen politisch in den Schoß fallen, die als letztlich einzig wählbare Alternative zum herrschenden privatkapitalistischen System erscheinen.

Das wissen ihre Vertreterinnen und Vertreter, weshalb sie schon lange den parlamentarischen Anwalt für „emanzipatorische“ Projektmacherinnen und Utopisten aller Schattierungen spielen. Ihre Lautsprecher fordern nun nicht nur öffentliche Geldgeschenke und weitere quasi unbegrenzte Arbeitsniederlegungen zum Schutz der Gesundheit der Arbeiterinnen und Arbeiter, sondern eine „sozialökologische Wende“ der gesamten Gesellschaft. Der Staat soll dieses Wolkenkuckucksheim erbauen und selbstverständlich „nachhaltig“ finanzieren. Schon marschiert der akademische Flügel vorneweg: Man müsse jetzt „in der Krise die Weichen stellen“ (Alex Demirovic), „Handlungsfelder für die Linke identifizieren“ und „Gelegenheitsfenster nutzen“.[22] In ihrer Eigenschaft als Charaktermasken der Politik erscheint ihnen die Coronakrise lediglich als eine wohlfeile Gelegenheit, um ihr übliches Geschäft betreiben zu können. Thomas Sablowski kommt in der Online-Zeitung der Rosa-Luxemburg-Stiftung zu der verblüffenden Schlussfolgerung, gerade JETZT wäre der richtige Zeitpunkt für die Proletarisierten gekommen, um sich das Blaue vom Himmel zu wünschen. Er ignoriert die katastrophale Verschlechterung der Steuereinnahmen durch den Corona-Shutdown, von denen er seine utopischen – Luftschlösser finanzieren müsste. Er tut dies, um die Proletarisierten zu betrügen:

„Die Krise ist auch eine Chance, den ohnehin notwendigen sozialökologischen Umbau der Produktion zu vollziehen. Die Rüstungsproduktion sollte beispielsweise beendet werden; die Automobilproduktion sollte deutlich reduziert werden, insbesondere im Bereich der ökologisch besonders verheerenden SUVs und Luxuslimousinen.   Die freiwerdenden Produktionskapazitäten sollten für die Herstellung sozial nützlicher Produkte verwendet werden. Die gegenwärtige Krise zeigt in drastischer Weise, dass die soziale Infrastruktur im Gesundheitswesen, in der Altenpflege und in anderen Bereichen erheblich ausgebaut werden muss und dass viel mehr Arbeit in diese Bereiche fließen muss, während wir die Arbeit in sozial und ökologisch schädlichen Bereichen durchaus reduzieren können, ohne auf einen hohen Lebensstandard zu verzichten.”[23]

Im Gegensatz zu den unterschiedlichsten linken Utopistinnen und Bourgeoisiesozialisten, denen aufgrund der beschleunigten Entwicklung der zuvor schon vorhandenen gesellschaftlichen Widersprüche in der Krise eine zusätzliche ideologische Macht zukommt und für die Demirovic, Sablowski und das Theoriekonsortium der Rosa-Luxemburg-Stiftung nur beispielhaft stehen, weil sie ihre Gedanken dankenswerterweise offen aussprechen, weiß die deutsche Kanzlerin Angela Merkel um die Beschränktheit der Möglichkeiten des deutschen Staates. Als Wissenschaftlerin und nüchterne Sachwalterin der Interessen des deutschen Gesamtkapitals gibt sie nichts auf die interessierten Illusionen, die sich Teile der hiesigen Klassengesellschaft aufgrund ihrer jeweiligen Stellung in der gesamtgesellschaftlichen Teilung der Arbeit machen mögen. So etwa linke Politikantinnen und Adhoc-Virologen aller Couleur, die sich eilig auf eine Seite der politischen Widersprüche schlagen, die nun Allen von ihrer gemeinsamen ökonomischen Basis her aufgenötigt werden; z.B. der Widerspruch zwischen dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung mit einem konsequenten „Social Distancing“ und der Beendigung des Lockdowns zur ungehinderten Kapitalakkumulation. Im Gegensatz zu diesen Überforderten, die in der aktuellen Situation interessanterweise kaum etwas zur auswärtigen Politik ihrer sozialökologischen Traumstaaten zu sagen haben, weiß die deutsche Kanzlerin, dass eine realistische und nicht voluntaristische Politik immer wieder aufs Neue durch die vom Kapital objektiv gesetzten Widersprüche hindurch entwickelt und der sich permanent verändernden gesellschaftlichen Wirklichkeit angepasst werden muss.[24]

8. Während des Lockdowns der Coronakrise werden die ökonomischen und sozialen Bedürfnisse, die bisher relativ zuverlässig befriedigt werden konnten, nicht mehr befriedigt. Die Arbeiterinnen und Arbeiter aller Länder stehen unter einem vergleichbaren sozialen Stress. Gleichzeitig müssen sie in kurzer Zeit die bisher gewohnte Weise ihres Stoffwechsels mit der Gesellschaft an ein modifiziertes soziales Umfeld anpassen und neue Fähigkeiten erlernen, z.B. diejenigen, die für eine regelmäßige Teilnahme an Videokonferenzen nötig sind. Unter dem nun notwendig stattfindenden Ausbau der digitalen Infrastruktur verändern sich Berufsbilder, ebenso wie die sozialen Bedingungen, unter denen die alltägliche Konkurrenz untereinander üblicherweise stattfindet. Dies sind nur gesellschaftliche Teilaspekte der beschleunigten ökonomischen Umwälzungen, die die Proleten ebenso wie die Kapitalisten auf unterschiedliche Weise nachvollziehen müssen. Ängste machen sich breit. Diffuse Überzeugungen gewinnen an Eindeutigkeit. Manche überschreiten nun die Grenze zum Wahn und schon gehen die ersten Verwirrten auf die Straße, werden laut und legen sich mit der Polizei an, weil sie die Coronakrise für eine False-Flag-Aktion dunkler Mächte halten, oder meinen, Bill Gates wolle die Menschheit per Gift-Impfung um ein paar Milliarden dezimieren.

Den Diensten des despotischen Lagers bietet diese ideologische Zuspitzung verbesserte Bedingungen zur Erfüllung ihrer Aufgabe. Ihre deutschen Organe – zuvorderst das Compact-Magazin, RT-Deutsch und KenFM, aber auch andere, zehntausendfach angeklickte Kanäle und Seiten – heizen die Widersprüche an und feuern aus allen Rohren. Ihr populistisches Pochen auf die Grundrechte im Angesicht eines vermeintlich nahenden Corona-Faschismus unter einer von Angela Merkel angeführten Gutmenschen-Junta dient der Zersetzung der politischen Macht des Westens. Die Parteigänger Russlands und Chinas die diese Zersetzung betreiben, kommen aus allen politischen Spektren. Eine traditionelle Macht haben sie in der Linken. Diese ist auch in Deutschland im politischen Ausbeuten der sozialen Widersprüche und dem Nähren falscher Hoffnungen gut geübt.   

Die von der Linkspartei und ihrem politischen Umfeld anempfohlenen Verstaatlichungen sind keine Lösung der allerorten drängenden, sozialen Probleme. Verstaatlichungen sind auch kein Schritt hin zum Sozialismus, sondern das genaue Gegenteil. Bleibt die Trennung der unmittelbaren Produzentinnen und Produzenten von der unmittelbaren Verfügung über die zum Leben nötigen Produktionsmittel bestehen, bedeutet dies over all eine dramatische Verschlechterung für die arbeitende Klasse. Anstatt das einzelne Charaktermasken verschiedener Produktionszweige in freier Konkurrenz und als private Eigentümer miteinander konkurrieren stoßen sie dort, wo die Produktionsmittel größtenteils verstaatlicht sind, innerhalb der zentralisierten Verwaltung aufeinander. Statt der juristisch voneinander abgegrenzten und als „frei“ verbrieften Privateigentümer ringen verschiedene Funktionärinnen und Apparatschiks hinter verschlossenen Türen um die Aneignung des nach wie vor vom Proletariat abgepressten Mehrwerts. Anstatt einzelner in der Krise bankrott gehender Kapitale bekommen die Proletarisierten die Staatspleite zu spüren.

Den fortdauernden Trennungen unter der kapitalistischen Arbeitsteilung entsprechend, bleiben auch die üblichen Illusionen und Fetischismen erhalten. Wenn die Klasse der Produzierenden dem Eigentum an Produktionsmitteln des Staates gegenübersteht, ändert sich nichts daran, dass dieses fremde Eigentum ihnen gegenüber auch einen fremden Willen in Gestalt der Personifikationen des Kapitals annimmt. Schlimmer: Weil die gesellschaftlich gemachten Bedürfnisse, z.B. nach offener Rede, freier Zusammenkunft und politischer Repräsentation unter staatskapitalistischen Vorzeichen noch schlechter befriedigt werden können als unter privatkapitalistischen, muss eine wie liberal auch immer gesinnte „sozialistische“ Regierung letztendlich zunehmend terroristische Züge annehmen.[25]

Dort wo Bourgeoissozialistinnen und Linksparteiler von internationalen Zusammenhängen reden, geht es allein um Schuldenerlasse und die Rücknahme der Sanktionen gegen die Despoten in Teheran, Caracas und Moskau. Über globale Abhängigkeiten sprechen die linken Sykophanten nur, insofern sie deren Benennung durch moralische Anklagen in politische Münze verwandeln können. Sie versprechen eine Linderung der sozialen Verwerfungen auf dem Weltmarkt durch kritischen Konsum und Entwicklungshilfe. An keiner Stelle begreifen sie die viel gegeißelte internationale Verknüpfung der Lieferketten als ein Teil der globalen Produktivkräfte, den das internationale Proletariat unter seine bewusste Kontrolle bringen muss, um eine kollektiv beschlossene, an den wirklichen Bedürfnissen der Menschen ausgerichtete Fortentwicklung der Gesellschaft zu ermöglichen. Stattdessen anempfehlen sie sich schon jetzt zur Optimierung der Zurichtungsweisen wider das Proletariat, die im weiteren Fortlauf der Krise für das Kapital notwendig werden könnten; mit Cultural Awareness und der permanenten Gängelei zur an ihren eigenen bornierten Bedürfnissen ausgerichteten Political Correctness.

Es ist bezeichnend, dass den linken Politikantinnen und Möchtegern-Staatenlenkern die internationale Verschlingung der Produktionsabläufe völlig egal zu sein scheint. Nahezu ausschließlich käuen sie die nationale Agenda ihrer politischen Wunschlisten wieder: Verstaatlichung des Gesundheitswesens – als wäre etwa der britische National Health Service frei von den durch das Kapital gesetzten Sachzwängen und besser auf die Pandemie vorbereitet gewesen! Sozialökologischer Umbau der industriellen Produktion – als könne der deutsche Klassenprimus den globalen Treibhausgasausstoß (etwa für die Herstellung von Zement und anderer Baustoffe) in anderen Staaten mit E-Mobilen und Sozialsinn innerhalb seiner eigenen Grenzen wettmachen! Regionale Kreislaufwirtschaft und nachhaltiger Konsum – als könnte der massenhafte und vielfältige Bedarf an Lebensmitteln durch ein paar hundert Biohöfe, die sich um die zahlungskräftige Nachfrage urbaner Ökobürgerfamilien gruppieren, für ca. 80 Mio. Menschen auch nur im Ansatz gewährleistet werden! 

Für das Proletariat kann es nicht darum gehen, im Nachgang der Coronakrise staatskapitalistische Despotien zur politischen Macht zu verhelfen, unter deren Zuchtruten die „sozialökologische Wende“ bei stets drohendem Staatsbankrott erbuckelt werden muss. Wenn das Proletariat erneut den Bourgeoisiesozialisten, der Linkspartei und ihren Satrapen auf den Leim geht, dann liegt dies auch daran, dass es noch keine eigenen, theoretisch forschenden und politisch handelnden Organe ausgebildet hat, die eine eigene proletarische Agenda vorantreiben könnten.

Nur eine Gesellschaft,die ihre Produktivkräfte nach einem gemeinsam erarbeiteten Plan sinnvoll ineinander greifen lässt, kann der Industrie erlauben, sich in derjenigen Zerstreuung über den Globus auszubreiten, die ihrer Entwicklung und Erhaltung der Elemente ihrer gesamtgesellschaftlichen Produktion aller zum Leben notwendigen Gebrauchswerte am angemessensten ist. Die Aufhebung der sozialen Gegensätze zwischen den kapitalistischen Zentren und der Peripherie ist eine direkte Notwendigkeit der industriellen Produktion und Gesundheitspflege der Bevölkerungen selbst geworden. Nur durch eine Verschmelzung von Stadt und Land kann die heutige Luft-, Wasser- und Bodenvergiftung beseitigt, nur durch sie die jetzt in den Städten dahinsiechenden Massen dahin gebracht werden, dass ihr natürlicher „Dünger“ ausschließlich zur Erzeugung von Lebensmitteln verwandt wird, statt zur Erzeugung von Krankheiten und Pandemien. Nur die von den Schranken der kapitalistischen Produktion befreite Gesellschaft kann noch viel weiter gehen. Indem sie ein Geschlecht von allseitig ausgebildeten Produzenten erzeugt, die die wissenschaftlichen Grundlagen der gesamten industriellen Produktion verstehen und von denen jeder eine ganze Reihe von Produktionszweigen von Anfang bis zu Ende praktisch durchmachte, schafft sie eine neue Produktivkraft der harmonischen Ordnung, unter denen den Proletarisierten ihr eigenes Arbeitsprodukt nicht mehr in entfremdeter Gestalt als „Macht des Geldes“, als Charaktermasken des Kapitals aus Politik und Wirtschaft, als destruktive soziale Resultate eines ungeplant wuchernden Geflechts zwischen den Menschen und unmittelbarer Zwang der Staatsorgane gegenübertritt.

                                             proletarische passagen am 01. Mai 2020

Lesehinweise und Endnoten:


[1]   „Die Bedingungen der unmittelbaren Exploitation und ihrer Realisation sind nicht identisch. Sie fallen nicht nur nach Zeit und Ort, sondern auch begrifflich auseinander. Die einen sind nur beschränkt durch die Produktivkraft der Gesellschaft, die andren durch die Proportionalität der verschiedenen Produktionszweige und durch die Konsumtionskraft der Gesellschaft. Diese letztre ist aber bestimmt weder durch die absolute Produktionskraft noch durch die absolute Konsumtionskraft; sondern durch die Konsumtionskraft auf Basis antagonistischer Distributionsverhältnisse, welche die Konsumtion der großen Masse der Gesellschaft auf ein nur innerhalb mehr oder minder enger Grenzen veränderliches Minimum reduziert. Sie ist ferner beschränkt durch den Akkumulationstrieb, den Trieb nach Vergrößerung des Kapitals und nach Produktion von Mehrwert auf erweiterter Stufenleiter.“ MEW 25, S. 254

[2] Eine Studie über die ökonomischen Auswirkungen von Pandemien durch die Federal Reserve Bank kommt zu dem Ergebnis, dass nach Pandemien die Löhne immer gestiegen sind. Link: https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/nach-pandemien-steigen-die-loehne-die-fed-hat-die-seuchen-der-letzten-600-jahre-untersucht/25717282.html

[3] Link: https://www.ft.com/content/601a4dd9-b996-4c49-bc22-8f49bfd06ea0

[4] „Der wechselseitige Zwang, den in ihr [der Konkurrenz] die Kapitalien aufeinander, auf die Arbeit etc. ausüben (die Konkurrenz der Arbeiter unter sich ist nur eine andre Form der Konkurrenz der Kapitalien), ist die freie, zugleich reale Entwicklung des Reichtums als Kapital.“, Marx, Grundrisse, S. 544

[5] Als allgemeine Form des gesellschaftlichen Reichtums scheint das Geld den Waren nur als Wertmaß gegenüberzustehen. In Wirklichkeit aber ist es selbst Ware, verselbstständigter Tauschwert und zugleich Repräsentant des Werts aller Waren. Entsprechend gilt: „Das Vermehren desselben [des Geldes] durch seine Aufhäufung, das seine eigene Quantität das Maß seines Werts ist, zeigt sich wieder als falsch. Wenn die andren Reichtümer sich nicht aufhäufen, so verliert es selbst seinen Wert in dem Maß, in dem es aufgehäuft wird. Was als seine Vermehrung erscheint, ist in der Tat seine Abnahme. Seine Selbstständigkeit ist nur Schein, seine Unabhängigkeit von der Zirkulation besteht nur in Rücksicht auf sie, als Abhängigkeit von ihr.“ Grundrisse, S. 145, vgl. Das Kapitel vom Geld, S. 36-148.

[6] „Und nicht nur die Arbeiter, auch die die Arbeiter direkt oder indirekt ausbeutenden Klassen werden vermittelst der Teilung der Arbeit geknechtet unter das Werkzeug ihrer Tätigkeit; der geistesöde Bourgeois unter sein eignes Kapital und seine eigne Profitwut, der Jurist unter seine verknöcherten Rechtsvorstellungen, die ihn als eine selbstständige Macht beherrschen; die „gebildeten Stände“ überhaupt unter die mannigfachen Lokalborniertheiten und Einseitigkeiten, unter ihre eigne körperliche und geistige Kurzsichtigkeit, unter ihre Verkrüppelung durch die auf eine Spezialität zugeschnittne Erziehung und durch die lebenslange Fesselung an diese Spezialität selbst – auch dann, wenn diese Spezialität das reine Nichtstun ist.“ MEW 20, S. 272

[7] „Die soziale Macht, d.h. die vervielfachte Produktionskraft, die durch das in der Teilung der Arbeit bedingte Zusammenwirken der verschiedenen Individuen entsteht, erscheint diesen Individuen, weil das Zusammenwirken selbst nicht freiwillig, sondern naturwüchsig ist, nicht als ihre eigene, vereinte Macht, sondern als eine fremde, außer ihnen stehende Gewalt, von der sie nicht wissen woher und wohin, die sie also nicht mehr beherrschen können, die im Gegenteil nun eine eigentümliche, vom Wollen und Laufen der Menschen unabhängige, ja dies Wollen und Laufen erst dirigierende Reihenfolge von Phasen und Entwicklungsstufen durchläuft“ MEW 3, S. 34

[8] „Die Pockenepidemie an der Pazifikküste Nordamerikas ab 1775, wurde aller Wahrscheinlichkeit nach von spanischen Entdeckerschiffen eingeschleppt. Ihren Schwerpunkt hatte sie wahrscheinlich im Gebiet des heutigen US-Bundesstaats Washington, vor allem um den Puget Sound und an der Westküste. Dort fielen ihr schätzungsweise 30 % der Bevölkerung zum Opfer, möglicherweise mehr, viele Überlebende litten an schweren Gesundheitsfolgen. Die Gesamtzahl der Opfer wird auf über 11.000 geschätzt. Aufgrund dieser und weiterer Epidemien blieben von den ursprünglich ca. 36.000 Einwohnern bis um 1850 nur rund 9.000 am Leben“ https://de.wikipedia.org/wiki/Pockenepidemie_an_der_Pazifikk%C3%BCste_Nordamerikas_1862

[9] Beispielhaft genannt seien hier nur die Apres-Ski-Feiern in Ischgl und das Fußballspiel zwischen Atalanta Bergamo und dem FC Valencia, wo binnen kürzester Zeit tausende Menschen aus verschiedenen europäischen Ländern dicht gedrängt zusammenkamen, um ebenso schnell wieder in ihre Heimatregionen abzureisen.

[10] „Wenn die Umstände, unter denen dies Individuum lebt, ihm nur die einseitige Entwicklung einer Eigenschaft auf Kosten aller andern erlauben, wenn sie ihm Material und Zeit zur Entwicklung nur dieser Einen Eigenschaft geben, so bringt dies Individuum es nur zu einer einseitigen, verkrüppelten Entwicklung. Keine Moralpredigt hilft. Und die Art, in der sich diese Eine, vorzugsweise begünstigte Eigenschaft entwickelt, hängt wieder einerseits von dem ihr gebotenen Bildungsmaterial, andererseits von dem Grade und der Art ab, in denen die übrigen Eigenschaften unterdrückt bleiben. (… ) Bei einem Individuum z.B., dessen Leben einen großen Umkreis mannigfaltiger Tätigkeiten und praktischer Beziehungen zur Welt umfaßt, das also ein vielseitiges Leben führt, hat das Denken denselben Charakter der Universalität wie jede andere Lebensäußerung dieses Individuums.“, MEW 3, S. 246

[11] Man bedenke, welche Ausmaße die Zensur hierzulande noch vor wenigen Jahren hatte. Computerspiele wie „Wolfenstein 3D wurden in den frühen 90ern wegen des lächerlichen Pixelmatsches, mit dem damals Blut simuliert wurde, auf den Index gesetzt. Vergleicht man die Darstellungen in diesen Spielen, die vor 30 Jahren den Zensor zuverlässig auf den Plan riefen, mit dem, was heute in Computerspielen, Filmen und Serien gezeigt werden darf, dann erahnt man die Geschwindigkeit, in der das Kapital seit damals die Teilung der Arbeit und Bedürfnisse vorangetrieben hat. Von welchen gesellschaftlichen Gruppen ging die Bewegung AUCH aus, die zur heute ganz selbstverständlich herrschenden Libertinage führte? Es waren u.a. die Künstler. Der Gebrauchswert ihrer Werkzeuge selbst, die praktischen Möglichkeiten der Kameras und Computer, affizierten in ihnen das Bedürfnis, diese universeller als zuvor verwenden zu können und nicht lediglich nach den rückständigen Maßgaben der Zensurbehörden. Sie wollen darstellen, was sie in der Wirklichkeit sehen.

[12] Die Subkultur der Hippies in den USA wurde – ebenso wie die sich antikapitalistisch gerierenden „68er“ hierzulande – auf dem politischen Weg für die bestehenden Verhältnisse nutzbar gemacht. Selbst die asozialen Anteile der vom Kapital selbst erzeugten Bedürfnisse dienten über die Jahrzehnte hinweg zunehmend als wichtiger Teil der gesamtgesellschaftlichen Produktivkräfte. Die Filmindustrie Hollywoods, die mit der genüsslichen Darstellung des moralisch Verwerflichen weltweit Profite macht, bietet eine gute Gesamtschau derjenigen Bedürfnisse, die nur in sublimierter Weise ausgelebt werden können und trotzdem zur erfolgreichen Kapitalakkumulation beitragen. Einerseits als Mittel um die Bedürftigen weltweit an die Kassen zu locken. Andererseits zur gleichzeitigen „Sedierung“ der Proletarisierten, zur Kompensation auch der asozialen Stränge ihres Bedürfnisbündels, die als Ergebnis der erlittenen Entfremdung nur als psychische Sublimierungen ausgelebt werden können. „Das Kapital, kann sich aus seiner eigenen Kotze, seinem eigenen Auswurf ernähren“. F. Güde während eines Vortrags über den Maoismus und die K-Gruppen der 1970er Jahre. Nachzuhören ab 1:44, hier: https://www.youtube.com/watch?v=sDbXhus0L4M&t=7971s 

[13] „Die spezifische ökonomische Form, in der unbezahlte Mehrarbeit aus den unmittelbaren Produzenten ausgepumpt wird, bestimmt das Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnis, wie es unmittelbar aus der Produktion selbst hervorwächst und seinerseits bestimmend auf sie zurückwirkt. Hierauf aber gründet sich die ganze Gestaltung des ökonomischen, aus den Produktionsverhältnissen selbst hervorwachsenden Gemeinwesens und damit zugleich seine spezifische politische Gestalt. Es ist jedesmal das unmittelbare Verhältnis der Eigentümer der Produktionsbedingungen zu den unmittelbaren Produzenten – ein Verhältnis, dessen jedesmalige Form stets naturgemäß einer bestimmten Entwicklungsstufe der Art und Weise der Arbeit und daher ihrer gesellschaftlichen Produktivkraft entspricht – worin wir das innerste Geheimnis, die verborgene Grundlage der ganzen gesellschaftlichen Konstruktion und daher auch der politischen Form des Souveränitäts- und Abhängigkeitsverhältnisses, kurz, der jedesmaligen spezifischen Staatsform finden.“ MEW 25, S. 799-800

[14] „Seit undenklichen Zeiten gab es in Asien nur drei Regierungsdepartements: das der Finanzen oder für die Ausplünderung des eigenen Volkes; das des Krieges oder für die Ausplünderung anderer Völker; und schließlich das der öffentlichen Arbeiten. Klimatische und territoriale Verhältnisse, besonderes die weiten Wüstenstriche, die sich von der Sahara quer durch Arabien, Persien, Indien und die Tatarei bis an das höchste asiatische Hochland ziehen, bedingten künstliche Berieselung durch Kanäle und Wasserwerke, die Grundlage der orientalischen Landwirtschaft. Wie in Ägypten und Indien, werden Überschwemmungen auch in Mesopotamien, Persien und anderen Ländern nutzbar gemacht, um die Fruchtbarkeit des Bodens zu steigern; hoher Wasserstand wird zur Speisung von Bewässerungskanälen ausgenutzt. Die unbedingte Notwendigkeit einer sparsamen und gemeinschaftlichen Verwendung des Wassers, die im Okzident, z.B. in Flandern und Italien, zu freiwilligem Zusammenschluß privater Unternehmungen führte, machte im Orient, wo die Zivilisation zu niedrig und die territoriale Ausdehnung zu groß war, um freiwillige Assoziationen ins Leben zu rufen, das Eingreifen einer zentralisierenden Staatsgewalt erforderlich. hierdurch wurde allen asiatischen Regierungen eine ökonomische Funktion zugewiesen, die Funktion, für öffentliche Arbeiten zu sorgen.“ MEW 9, S. 127

[15] So unterliegen selbst geographische Gegebenheiten durch die Erschließung neuer Verkehrswege, Verschiebungen von Abhängigkeiten im Handel, Kriege und andere Revolutionen in der Produktivkraftentwicklung einer historischen Veränderbarkeit.

[16] Der E-Sportler „blitzchung“ Wai Chung demonstrierte während eines internationalen Turniers gegen die Unterdrückung der Hongkonger Protestbewegung. „Befreit Hongkong, Revolution unseres Zeitalters“ rief er während eines Livestreams vor zehntausenden Zuschauerinnen und Zuschauern.  

Daraufhin musste er auf sein Preisgeld verzichten und wurde vom Betreiber der Liga, Blizzard, gesperrt. Blizzard, die Company die u.a. World of Warcraft und Diablo herausbrachte, musste ihrer ökonomischen Abhängigkeit vom chinesischen Markt gerecht werden und leistete der KP vorauseilenden Gehorsam. Dies war ein ernsthafter monatelanger Skandal in der Computerspiele-Szene (die längst einen viel größeren Umsatz verzeichnet als die gesamte globale Filmindustrie), der letztlich auch zum Abstieg von Blizzard beitrug.  https://www.heise.de/newsticker/meldung/E-Sportler-aus-Hongkong-Blizzard-rechtfertigt-sich-im-Sperr-Skandal-4554141.html

[17] Link: https://bdi.eu/artikel/news/europaeische-kommission-sollte-zuegig-ihr-arbeitsprogramm-aktualisieren/

[18] Einer der ersten, der von Verstaatlichungen privater, systemrelevanter Betriebe sprach, war der Bundesminister für Wirtschaft, Peter Altmaier (CDU). Ähnlich wie im Falle des verbesserten Trackings der mit COVID19 Infizierten durch eine (vllt. sogar bald verpflichtende) Staats-App, schüfe damit ausgerechnet die CDU einen der notwendigen stofflichen Stepstones hin zu einem sozialistisch sich gebenden Staatskapitalismus, wie ihn sich Viele unter der handgreiflichen Bedrohung ihrer bisherigen Existenzweise nicht besser vorstellen können. Vgl. Link: https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/wirtschaftsminister-altmaier-verstaatlichungen-sind-moeglich-100.html

[19] Letztere tun in ihrem wirklichen oder ersehnten Berufsleben nichts anderes, als andere Proletarisierte im Sinne des Staates und des Kapitals zu kommandieren, zu überwachen und zu dressieren, ideologisch und psychologisch. Ihnen erscheint jedes soziale Problem als eine Frage des notwendigen technischen und administrativen Know-Hows. Dieser falsche Schein, der sich ihnen aufgrund ihrer Stellung unter der gesamtgesellschaftlichen Teilung der Arbeit aufdrängt, bestätigt diese Auffassung. Ihnen zeigt sich die Gesellschaft als eine in Erzieher und Zu-Erziehende gespaltene. Die zunehmende Unangemessenheit der kapitalistischen Vergesellschaftungsweise in Anbetracht der entwickelten Produktivkräfte erscheint ihnen als bloße Frage einer verbesserten Administration und ideologischen Gängelung. vgl. https://loesungderwohnungsfrage.wordpress.com/

[20] „Unreife Studentchen“ eben! Vgl. MEW 18, S. 536-541, hier: S. 540; Vgl. auch MEW 7, S. 273 ff.

[21] Link: https://www.klassegegenklasse.org/mcdonalds-filiale-besetzt-arbeiterinnen-verteilen-lebensmittelpakete-an-leidtragende-der-krise/

[22] Vgl. https://www.zeitschrift-luxemburg.de/ein-gelegenheitsfenster-fuer-linke-politik-wie-weiter-in-und-nach-der-corona-krise/

[23] Vgl.  https://www.zeitschrift-luxemburg.de/der-klassencharakter-der-deutschen-politik-in-der-coronakrise/ ;
Wir greifen Thomas Sablowski nicht als Person an, sondern in seiner Funktion als politische Charaktermaske. „Wo im Bezugsrahmen bürgerlicher (Parlaments- und Parteien-) Politik Personen als Charaktermasken handeln, d.h. als Träger bestimmter Klasseninteressen, fasst sie unsere Analyse wiederum nicht als konkrete, lebendige Individuen; ich kann sie beispielsweise nicht hassen, wie ich große einzelne Verbrecher wie Heydrich in der Tschechoslowakei (… ) hassen kann.“ Rudi Dutschke, zitiert nach Peter Brückners und Barbara Sichtermanns Sammelband „Gewalt und Solidarität“, S. 56.

[24] Auf einer Pressekonferenz am 06.04.2020 verwies sie auf die Drastik der ökonomischen Resultate des Corona-Shutdowns sowie auf die prinzipielle Abhängigkeit der deutschen Volkswirtschaft – und damit aller Insassen Deutschlands – von der relativen Prosperität, nicht nur der eigenen, sondern auch der Ökonomien anderer Länder: „(… ) Deutschland wird es auf Dauer nur gut gehen, wenn es Europa und der Welt gut geht. Und wir erleben jetzt auch, wenn wir uns einfach mal angucken wie unsere Wirtschaften verflochten sind, was passiert, wenn der freie Gang der Güter nicht gewährleistet ist. (… ) Es wird zum Schluss immer darauf ankommen, dass wir bei aller Notwendigkeit des wirtschaftlichen Handelns, den Gesundheitsschutz vorne anstellen, denn so wie Viele sich wünschen dass es jetzt schnell vorangehen möchte, so wird die Diskussion wenn die ersten Menschen sterben, weil wir zu schnell gehandelt haben und unser Gesundheitssystem den Belastungen nicht mehr standhalten wird, sich sofort ins Gegenteil verkehren.“

[25] Max Horkheimer schrieb 1940 über die sozialistischen Organe in der Weltwirtschaftskrise: „Die Partei verwandte sich für eine soziale Gesetzgebung, der Arbeiterschaft sollte das Leben im Kapitalismus erleichtert werden. Die Gewerkschaft erkämpfte Vorteile für die Berufsgruppen. Als ideologische Rechtfertigung bildeten sich die Phrasen der Betriebsdemokratie und des Hineinwachsens in den Sozialismus aus. Die Arbeit als Beruf: als die Plackerei, wie die Vergangenheit sie einzig kennt, wurde kaum mehr in Frage gestellt. Sie wurde aus des Bürgers Zierde zur Sehnsucht der Erwerbslosen. Die großen Organisationen förderten eine Idee der Vergesellschaftung, die von der Verstaatlichung, Nationalisierung, Sozialisierung im Staatskapitalismus kaum verschieden war. Das revolutionäre Bild der Entfesselung lebte nur noch in den Verleumdungen der Konterrevolutionäre fort. Wenn überhaupt die Phantasie sich vom Boden der Tatsachen entfernte, setzte sie an Stelle der vorhandenen staatlichen Apparatur die Bürokratien von Partei und Gewerkschaft, an Stelle des Profitprinzips die Jahrespläne der Funktionäre. Noch die Utopie war von Maßregeln ausgefüllt. Die Menschen wurden als Objekte vorgestellt, gegebenenfalls als ihre eigenen. […] Im integralen Etatismus steht, wenn man von den kriegerischen Verwicklungen absieht, der Absolutismus der Ressorts, für deren Kompetenzen die Polizei das Leben bis in die letzten Zellen durchdringt, der freien Einrichtung der Gesellschaft entgegen.“ Horkheimer, Autoritärer Staat, in: „Wirtschaft, Recht und Staat im Nationalsozialismus“, Frankfurt 1984, S. 57/62