Hier veröffentlichen wir kurze Texte und Postings unserer Facebook-Seite.
Facebook, 09. Oktober 2022
Überall, wo die kapitalistische Produktionsweise herrscht, geht die gesellschaftliche Reproduktion notwendig mit der stetigen Untergrabung ihrer natürlichen Voraussetzungen einher, mit der rücksichtslosen Ausbeutung der Erde und der Arbeiter:innen. Der Klimawandel, der die Menschheit inzwischen als Ganzes bedroht, ist ein Resultat dieser rücksichtslosen Ausbeutung, ebenso die Zerstörung der Flora und Fauna der Meere und die Erschöpfung bestimmter Rohstoffe. Die demokratischen Bourgeois des Westens, hoffen den globalen Treibhauseffekt durch die Reduktion der CO2-Emissionen begrenzen zu können. Mit dem Klimaabkommen von Paris wurde dieses Ziel politisch proklamiert und in juristischer, d.h. ideologischer Form festgehalten.
Wenn mit den in Paris geschlossenen Vereinbarungen etwas erreicht werden soll, ist die demokratische Verfasstheit der beteiligten Akteure als Vertragspartner und die freiwillige Einhaltung gemeinsam beschlossener Regeln eine Grundbedingung hierfür. Die despotischen Systeme, zuvorderst Russland und China, können diese bürgerlich-kapitalistische Vertragssicherheit aber nicht bieten. Deren despotische Herrschaftsweisen zeichnen sich nicht durch die vom Staat geschützte, gegenseitige Anerkennung aller Klassenindividuen als Besitzer ihres Privateigentums aus – sei dies Kapital, Boden oder Arbeitskraft – sondern durch die rücksichtslose Durchsetzung partikularer Interessen einer mafiösen Clique von Oligarchen. So wie die Rechte des Einzelnen bei Bedarf gebeugt und außer Kraft gesetzt werden wenn unliebsame Kritiker:innen in Lagern verschwinden oder vom Geheimdienst ermordet werden, verfahren Putin, Xi Jinping und Konsorten auch mit geschlossenen Verträgen und internationalen Abkommen, insofern es ihren Machtkalkül dient, wie die nun endgültig ausbleibenden Gaslieferungen beweisen.
Dass sie keinerlei Interesse an wirkungsvollen Maßnahmen gegen den Klimawandel und die sonstige Umweltzerstörung haben, zeigen die Herrschenden Russlands mit ihren bisherigen Taten während des völkermörderischen Angriffskriegs, den sie den Ukrainer:innen aufgezwungen haben. Indem sie ihr unverkäuflich gewordenes Gas abfackeln und eigene Pipelines sprengen, um ihre westlichen Feinde politisch unter Druck zu setzen, handeln sie wie ein Teil der Kapitalist:innenklasse schon immer gehandelt hat, wenn keine demokratische Gesellschaft sie zur Rücksichtnahme zwingt, ganz nach dem Motto: „Après moi le déluge!/Nach mir die Sintflut!“ Die Beschießung von Atomkraftwerken, die systematische Zerstörung der Infrastruktur, von Strom- und Gasleitungen, von chemischen Fabriken, Rohstofflagern und Verteilerstationen, wie sie in diesem Ausmaß seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr stattgefunden haben, verseuchen die Böden und Gewässer. Und mit jedem explodierenden Panzer, jedem abgeschossenen Flugzeug und mit jedem in die Luft gesprengten Munitionslager usw., werden eine Unmenge an zusätzlichem CO2 und andere Giftstoffen freigesetzt, die den Treibhauseffekt verstärken. Neben der Tötung, Verletzung, Entwurzelung und lebenslangen Traumatisierung von Menschen im Massenmaßstab, bedeutet der Krieg auch eine nie dagewesene Naturkatastrophe. Insofern ist der Krieg Russlands gegen die unabhängige und demokratische Ukraine, nicht nur ein Verbrechen gegen das ukrainische und russische Proletariat, sondern auch eines gegen die gesamte menschliche Gattung. Wenn es unter den kapitalistischen Konkurrenzbedingungen überhaupt möglich sein sollte, die Erwärmung der Erde in erträglichen Grenzen zu halten (woran wir zweifeln müssen), dann kann dies nur vermittelst der strikten Einhaltung internationaler Abkommen und Verträge geschehen. Auch deshalb kann sich die Menschheit, unter Strafe des eigenen Untergangs, Despoten, die auf geschlossene Verträge pfeifen, keinen Tag länger leisten.
Für die russische Despotie, deren nationale Produktion zu einem wesentlichen Teil aus der Förderung und dem Verkauf fossiler Energieträger besteht, ist klar, dass ihr Geschäft der räuberischen Aneignung des gesellschaftlich produzierten Mehrwerts nur weiterbestehen kann, wenn die bisherige Nachfrage nach Öl und Gas auf dem Weltmarkt erhalten bleibt. Deshalb ist es im direkten Interesse der herrschenden Clique Russlands, dass der mühselig-langsame, weil demokratische Kampf um eine klimaschonende Produktion keinen Erfolg hat und die kapitalistische Entwicklung asiatischer und afrikanischer Staaten weiter primär durch fossile Energien erfolgt. Gesetzt den Fall, dass die Herrschenden Russlands in ihrem Nachdenken über den Klimawandel ebenso borniert und ruchlos sind, wie es ihre bisherigen Taten während des Vernichtungskriegs gegen die Ukrainer:innen nahelegen, dann haben sie sogar ein handfestes ökonomisches Interesse am Klimawandel. Schmilzt das Eis in der Arktis weiter ab und tauen die Permafrostböden Sibiriens auf, werden weitere Reservoirs an fossilen Brennstoffen und anderen Rohstoffen zugänglich. Die strategische Kontrolle über eine dann schiffbare Nordostpassage zwischen Asien und Europa könnte Russlands Stellung auf dem Weltmarkt verbessern.
Unter der überfordernden Vielzahl der weltweiten krisenhaften Entwicklungen, den schockierenden Sinneseindrücken des aktuellen Krieges und Putins permanenten Drohungen mit dem Einsatz von Atomwaffen scheint es der hiesigen Öffentlichkeit kaum möglich zu sein, den direkten Zusammenhang zwischen Krieg und Klimakatastrophe zu registrieren und kollektiv zu verhandeln. Dies ist auch einer der zerstörerischen Effekte der Angstwaffe, die von den Russen routiniert gegen die Bevölkerungen der westlichen Demokratien angewendet wird. Es sollte nach den nun gemachten Erfahrungen mit dem russischen Faschismus allen klar sein: Ohne eine militärische Niederlage der roten Armee auf ukrainischem Boden, eine hieran anschließende Zerstückelung des Völkergefängnisses Russland entlang historischer Grenzen und die Verwandlung der dort ansässigen (bis dahin) `russländischen´ Gesellschaften in demokratische Nationen, muss die Weltgesellschaft weiterhin auf ihren Untergang im Klimakollaps zurasen. Ohne die bürgerliche Vertragssicherheit, die im Alltag und im internationalen Verkehr wirkungsvoll durchgesetzt wird, ohne eine Beschränkung der zur Verfügung stehenden Mittel in der internationalen Konkurrenz, zur fortgesetzten Ermöglichung ebendieser, ist unter kapitalistischen Bedingungen die Abwendung der schlimmsten Folgen des Klimawandels undenkbar. Auch deswegen muss Russland niedergerungen werden, von dem Klassenbündnis, das die liberaldemokratisch-revolutionären Proletarier:innen der Ukraine mit den progressiven Elementen innerhalb der sie beherrschenden Bourgeoisie und dem internationalen woke capital eingegangen sind.
Facebook, 15. November 2021
Zur aktuellen Lage an der belarussisch-polnischen Grenze
In der Auseinandersetzung zwischen den Staaten des transatlantischen Bündnisses und den kapitalistischen Despotien in Russland und China wenden Putins Dienste immer wieder dieselben Mittel an. Mit der Forcierung schon vorhandener ideologischer Widersprüche, mit der Verbreitung von Fakenews durch Trollfabriken, Bots und eigens hierfür geschaffener Agenturen sollen die Entscheidungen westlicher Politiker:innen beeinflusst und ihre innen- und außenpolitische Handlungsfähigkeit eingeschränkt werden. Mit diesen medialen Attacken gehen militärische Manöver nicht gekennzeichneter Kombattanten einher, wie in den vergangenen Jahren in Syrien und auf der Krim geschehen. Die Strategie, die Lukaschenko aktuell mit der künstlichen Erzeugung einer Flüchtlingskrise an der belarussisch-polnischen Grenze verfolgt, funktioniert auf die bekannte Weise: Die „Flüchtlingswaffe“ die er im hybriden Krieg gegen die EU anwendet, sind nicht die Geflüchteten selbst, sondern die diskursive Zuspitzung der öffentlichen Meinungen, das Schüren von Angst und moralischer Erregung durch wackelige Aufnahmen von erneuten „Flüchtlingsströmen“. Indem er beängstigende Bilder erzeugt, versucht er die Entscheidungsträger:innen der EU zu erpressen. Wo der russische Staatskonzern Gazprom einen künstlichen Gasmangel in Europa erzeugt, droht Lukaschenko nun mit dem Stopp des Transits durch die Jamal-Europa Pipeline. Sein Ziel ist die Aufhebung der Sanktionen, welche die EU aufgrund des Wahlbetrugs und der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung 2020 gegen sein Land in Kraft gesetzt hat. Zugleich arbeitet er am Ziel des despotischen Lagers insgesamt, den demokratischen Westen zu destabilisieren, wo dies möglich ist, um letztlich immer größere Teile der Weltökonomie unter die eigene Verfügungsgewalt zu bringen.
Mit seinen Aktionen an der polnischen Grenze heizt Lukaschenko die Konflikte in der Asylpolitik an, die zwischen süd-, west- und osteuropäischen EU-Staaten bestehen, deren Gesamtkapitale einen jeweils unterschiedlich hohen Bedarf an zugewanderter Arbeitskraft haben. Die letztlich von ökonomischen Entwicklungen abhängige, aber politisch dringend notwendige Einigung des europäischen Staatenbundes wird so zusätzlich strapaziert. Ausgerechnet in Polen, wo die demokratischen Institutionen durch die autoritäre PIS-Regierung unter schwerem Beschuss stehen, wo die dauerhafte Ausrichtung des Landes an den Werten einer liberalen, demokratischen und proeuropäischen Bourgeoisie noch fragil ist, wird durch die explosive Situation an der Grenze Handlungsdruck auf allen Seiten erzeugt. Bislang haben sich die Herrschenden der EU noch nicht auseinanderdividieren lassen. Stattdessen beschließen sie weitere Sanktionen und drohen den Airlines die den Transport der Geflüchteten organisieren, mit dem Entzug der europäischen Überflugsrechte.
Die Protagonist:innen des linken Spektrums, die unter den Parolen „Refugees welcome!“ und „Kein Mensch ist illegal“ offene Grenzen fordern, spielen ihre Rolle in Lukaschenkos Plan zuverlässig, ob ihnen dies bewusst ist oder nicht. Ebenso wie die Rechten, die programmgemäß vor muslimischen „Messermännern“ warnen und in sozialen Netzwerken Panik vor einer „Umvolkung“ verbreiten, ist ihr politischer Indifferentismus, der die internationalen Auseinandersetzungen als Fortsetzung nationaler Klassenkämpfe außer Acht lässt, eine notwendige Voraussetzung für die Destabilisierung der westlichen Gesellschaften. Mit moralischen Anklagen („Die EU verrät ihre Werte“) und Whataboutism („Der NATO-Partner Erdogan ist genauso schlimm“) suchen linke Bourgeosiesozialist:innen rund um die Linkspartei und ihre Vorfeldorganisationen, ihre politischen Gegner in eine ethische Bredouille zu bringen. Unter der praktischen und gedanklichen Borniertheit der gesamtgesellschaftlichen Teilung der Arbeit und nicht unähnlich den Charaktermasken der Politik, die die Geflüchteten zynisch als Rangiermasse ihrer Machtspiele missbrauchen, erscheint ihnen das menschliche Elend im Niemandsland zwischen Belarus und Polen lediglich als willkommene Gelegenheit, ihr publizistisches und politisches Geschäft zu betreiben. Im praktischen Zusammenspiel mit den Rechten rund um die AfD treiben sie die Gesellschaft zusätzlich auseinander und spalten sie weiter in vermeintlich entgegengesetzte Lager. Diese praktische Kumpanei mit dem Despotismus macht den direkten und indirekten Einfluss russischer Dienste besonders einfach. Von ihrer Gründung an wurde die AfD mit verdeckten Geldspenden und der ideellen Unterstützung ihrer Agenda durch gelenkte Trolle oder Fake News gefördert. Die Linkspartei, die in weiten Teilen aus der ehemals herrschenden Staatspartei der DDR hervorgegangenen ist, pflegt eine eigene Affinität und traditionelle Verbundenheit mit den Despoten Russlands. Deren medialen Organe, wie RT-Deutsch, KenFM aka Apolut und die sog. Nachdenkseiten, üben ihren Einfluss im rechten wie im linken politischen Lager aus. In der Wirklichkeit des Propagandakriegs der kapitalistischen Despotien gegen das demokratische Lager bilden die AfD und die Linkspartei in ihren politischen Milieus zwei Seiten derselben Medaille.
Die kapitalistische Produktionsweise entwickelt sich immer wieder durch die gesellschaftlichen Widersprüche hindurch, die von den entgegengesetzten Entwicklungen an ihrer ökonomischen Basis bedingt werden. Unter den politischen Verhältnissen der westlichen Staaten, in denen eine demokratische Vermittlung zwischen den partikularen Klasseninteressen vorherrscht, kann es seitens der Regierenden kaum radikale Lösungen geben, weil mit einer Einseitigkeit der Entscheidungen die klassenmäßig bestimmten Interessen der politisch Unterlegenen missachtet und die Charaktermasken der Politik somit ihre Widerwahl gefährden würden. Wo vorerst keine Kompromisse als praktische Lösungen für Probleme, die alle Klassen unmittelbar betreffen, gefunden werden können, bleiben ihnen nur symbolische Handlungen, um vor dem Wahlvolk weiterhin eine souveräne Verfügungsgewalt über die vom Kapital initiierten, gesellschaftlichen Bewegungen zu mimen. Daher bspw. die offen ersichtliche Hilflosigkeit des grünen Spitzenpersonals Baerbock und Habeck, die jetzt eine Aufklärungskampagne in den Heimatländern der Geflüchteten starten wollen, um diese in Zukunft von der lebensgefährlichen Flucht nach Europa abzuhalten. Ebenso wie die Vizepräsidentin der USA Kamala Harris, die sich kürzlich in Anbetracht der illegal aliens an der mexikanischen Grenze zu ähnlichen Maßnahmen gezwungen sah, können sie weder die Wünsche der Einen noch diejenigen der Anderen in Gänze erfüllen. Würden sie für offene Grenzen plädieren, wie es eine linke Minderheit einfordert, würden sie einen „Pull-Effect“ erzeugen und weitere Massen an Geflüchteten an europäischen Grenzen provozieren. Die Aufnahme aller, die in EU-Staaten Asyl beantragen wollen, würde die materiellen Grenzen (Unterbringung, Sprachkurse, psychologische und sozialarbeiterische Betreuung) die vorhandenen Kapazitäten überschreiten und den sozialen Zusammenhalt in den europäischen Ländern zumindest gefährden. Würden sie dem entgegengesetzt unisono auf die Forderungen der Rechten eingehen und eine wirkliche Abschottung gegen eine weitere Einwanderung (hauptsächlich aus islamisch geprägten Ländern) forcieren, würden sie den Hunger des Kapitals nach zusätzlicher Arbeitskraft auf deutschem Boden (die hiesigen Verbände der Industrie sprechen von 400.000 Migranten jährlich) ignorieren und mit der fortgesetzten Kapitalakkumulation auch die relative Wohlfahrt aller in Deutschland Lebenden aufs Spiel setzen. Die vermittelnde Tätigkeit in der politischen Sphäre ist immer eine des ständigen Sowohl-als-auch, unter der es keinen Fortschritt geben kann, ohne einen Nachteil.
Die Möglichkeiten zur Entfaltung der eigenen Fähigkeiten und zur freien politischen Assoziation, die unter der demokratischen Herrschaft westlicher Staaten erreicht wurden, bieten unter dem militärischen Schutz der NATO die bisher besten Vorrausetzungen für die proletarische Klasse, sich zu einer im eigenen Sinne handelnden Klasse fortzuentwickeln. Das Proletariat hierzulande kann deswegen kein Interesse am Zusammenbruch der privatkapitalistischen Produktionsweise und ihrer politischen Vermittlungsinstanzen im liberalen und demokratischen Westen haben, solange es selbst noch keine eigenen theoretisch forschenden und politisch handelnden Organe ausgebildet hat, die sicherstellen könnten, dass nach diesem Zusammenbruch, die schon bestehenden individuellen Freiheiten bewahrt und ausgeweitet und nicht zusätzlich eingeschränkt würden. Den am Communismus interessierten Proletarier:innen bleibt – in Anbetracht der theoretischen und politischen Unterentwicklung ihrer Klasse – deswegen vorerst nur das (temporäre) Bündnis mit den fortschrittlichsten Teilen innerhalb der Bourgeoisie. Im Zusammenhang mit Belarus und der Flüchtlingskrise an der Grenze Polens bedeutet dies, den Erpressungsversuch Lukaschenkos durch sein staatlich organisiertes Schlepperunwesen als solchen zu benennen, ebenso wie die Rolle seiner hiesigen Agenti:nnen. Je mehr Manöver der Diktator fährt, um vom Widerstand gegen seine überkommene Autokratie, den Vorposten der russischen Despotie in Europa abzulenken, umso lauter muss die Unterdrückung der klassenübergreifenden Demokratiebewegung angeprangert werden, umso mehr muss an die Tausenden Gefolterten und Verschwundenen erinnert werden; so etwa an Olga Gorbunova, die seit 18 Jahren als feministische Psychologin gegen häusliche Gewalt an Frauen und Mädchen und für die Anerkennung von LGBTQ* kämpft und vor wenigen Tagen in Minsk in das Okrestina-Gefängnis verschleppt wurde, wo ihr wegen staatsgefährdender Tätigkeit bis zu drei Jahren Haft drohen.
Auch mit dem Verweis auf Kriegsverbrechen der NATO im Nahen Osten und anderswo kommt man nicht um die Erkenntnis herum, dass der proletarischen Klasse in den Staaten des von Putins Russland angeführten despotischen Lagers – mögen diese islamischer, staatssozialistischer oder postsozialistischer Prägung sein – weitaus weniger Freiheiten in ihrer individuellen Lebensführung und politischen Organisierung offen stehen als in den demokratischen Ländern des Westens. Den communistisch Interessierten muss es gelingen, ihren abstrakten Pazifismus und außenpolitischen Indifferentismus abzulegen. Sie müssen die bürgerliche Politik des Willens ersetzen durch den praktischen Versuch, eine Agenda im Sinne der Interessen des Proletariats zu entwickeln, die nur von den wirklichen Verhältnissen ausgehen kann, unter denen die nationalen wie internationalen Klassenkämpfe stattfinden. In Anbetracht der eigenen Schwäche kann dies bis auf weiteres nur die Unterstützung liberaler und demokratischer Kräfte bedeuten, insbesondere dort, wo deren Leben von den Diensten der kapitalistischen Despotien bedroht werden.
Wenn der aktuelle Angriff Lukaschenkos ausgehebelt werden soll, muss die (an den Zahlen von 2014/15 gemessen) sehr kleine Gruppe von Geflüchteten, die jetzt an der östlichen EU-Außengrenze bei Minusgraden ausharren muss, so schnell wie möglich auf die verschiedenen aufnahmebereiten Staaten Europas verteilt werden. Gelingt eine gemeinsame Abstimmung und sinnvolle Verteilung, könnte die menschenfeindliche Aktion Lukaschenkos sogar positive Effekte für die bitter notwendige, politische Einigung der EU zeitigen. An der baldigen Einrichtung von zentral gesteuerten Aufnahme- und Abschiebezentren in den Ankunftsstaaten führt für die EU kein Weg vorbei, wenn die in den kommenden Jahren für das Kapital insgesamt(!) so dringend nötige zusätzliche Migration koordiniert und am jeweiligen Bedarf der nationalen Gesamtkapitale an zusätzlicher Arbeitskraft orientiert erfolgen soll. Hiermit wäre den Lukaschenkos, den Erdogans und den anderen Feinden der relativen Freiheit, für die die EU immer noch steht, die „Flüchtlingswaffe“ aus der Hand geschlagen. Um dauerhaft gegen die permanenten Angriffe des despotischen Lagers zu bestehen, reicht dies jedoch nicht aus. Wie zuletzt die katastrophale Evakuation viel zu weniger afghanischer Helfer:innen aus Kabul gezeigt hat, muss die EU dringend an ihren militärischen Fähigkeiten arbeiten. So führt auch an der Erhöhung der nationalen Rüstungsetats auf 2%, wie mit der Nato vereinbart, und an der Ausrüstung einer gemeinsamen europäischen Armee u.A. mit bewaffneten Drohnen kein Weg vorbei. Die blinden Affekte mit denen deutsche Linke auf solche Forderungen reagieren, zeigen wie wenig sie in der Lage sind, eine revolutionäre Realpolitik des Proletariats, die den Anforderungen der Wirklichkeit entspricht, überhaupt erst einmal geistig zu antizipieren.
Facebook, 16. August 2021
Zur aktuellen Lage in Afghanistan
Nachdem in den vergangenen Wochen eine Provinz nach der anderen mehr oder weniger kampflos an die Taliban übergeben wurde, ist seit gestern nun auch Kabul wieder vollständig in der Hand der Islamisten. Die afghanische Regierung hat eine friedliche Machtübergabe angekündigt, wie sie im von Donald Trump mit den Taliban verhandelten Abkommen vorgesehen war. Damit endet der 20 Jahre andauernde Versuch der NATO-Staaten unter Führung der USA, das Land von einer Basis des internationalen Terrorismus in eine demokratische Republik zu verwandeln. Über alle politischen Lager hinweg wird nun Anklage gegen die USA und die NATO geführt. Einmal mehr ist die Moral die Ohnmacht in Aktion. Statt nach den gesellschaftlichen Bedingungen zu fragen, welche die rasante Eroberung aller Provinzen durch die Taliban möglich gemacht haben, wird der Verrat oder das Scheitern des amtierenden US-Präsidenten angeprangert oder der mangelnde Kampfeswille der u.a. von der Bundeswehr ausgebildeten afghanischen Streitkräfte beklagt. Gescheitert ist aber nicht die militärische Ausbildung, sondern die ökonomische Entwicklung und Einigung des Landes, ohne die alle Bemühungen zu Modernisierung, Demokratisierung und Staatsbildung nutzlos bleiben mussten.
In 20 Jahren Anwesenheit westlicher Militärs und ziviler Aufbauhilfe hat in Afghanistan keine nennenswerte ökonomische Entwicklung stattgefunden, auf der ein demokratischer Fortschritt der Gesellschaft hätte fußen können. Internationale Organisationen stufen das Land als „rudimentäre Marktwirtschaft“ ein. Diese Einordnung dürfte auf der ökonomischen Tätigkeit an den wenigen Standorten beruhen, an denen überhaupt industriell für den Export nach Indien, Pakistan und die VAE produziert wird und ein entsprechender städtischer Handel stattfindet. Jenseits dieser Enklaven ist der Anteil der Industrie am Gesamtprodukt Afghanistans seit 2010 gesunken. Noch immer macht der Agrarsektor ein Drittel der afghanischen Wirtschaftsleistung aus, v.a. der bis 2019 massiv gestiegene Anbau von Opium. Gewachsen ist unter der Besatzung durch die Nato vor allem der Dienstleistungssektor. Dies ist eines der wirklichen Resultate der westlichen Entwicklungsbemühungen, insofern hier v.a. Regierungsgeschäfte, Provinzmanagement, Hotellerie und Gastronomie, Bildung sowie alle mit NGOs verbundenen Geschäftszweige erfasst werden. Zu sprechen wäre deshalb darüber, welche neuen ökonomischen und politischen Funktionen in der afghanischen Gesellschaft dadurch entstanden sind, ob und für welche gesellschaftlichen Klassen sie einen politischen Spielraum eröffnet haben, der sich mit der Machtübergabe an die Taliban nun wieder schließt. Stattdessen verfallen die hiesigen Linken inklusive der Antideutschen und der selbsterklärten materialistischen Ideologiekritik einmal mehr in idealistische Phrasendrescherei über den Verrat westlicher Freiheiten.
Als die USA mit den NATO-Verbündeten 2001 in Afghanistan einmarschierten, arbeiteten über zwei Drittel der afghanischen Bevölkerung in der Landwirtschaft, keineswegs aber als Lohnarbeiter:innen kapitalistisch organisierter Agrarbetriebe, sondern als Angehörige dörflicher Gemeinschaften auf patriarchaler Grundlage, die noch zum großen Teil zur Subsistenz produzierten. Wie in anderen Entwicklungsländern, in denen das moderne Industriekapital v.a. durch den auswärtigen Handel präsent ist, die Gesellschaft also von außen beeinflusst und nicht in ihren alltäglichen Gliederungen strukturiert, herrschte in Afghanistan eine zersplitterte Produktion von Gebrauchswerten vor. Die unmittelbaren Produzenten sind hier anhand ihrer familiären Zugehörigkeit zu einer lokalen Gemeinschaft teils im Besitz eigener Produktionsmittel. Je nach Gelegenheit werden sie heute als Kleinhändler in der nächstgrößeren Stadt tätig oder heuern morgen als Tagelöhner an, um von den sich ausdehnenden Geldverhältnissen zwischen den Stämmen, Dorfgemeinden und Warlords zu profitieren. Eine Industrie war zu dieser Zeit quasi nicht existent, der Binnenhandel noch nicht unter deren Regie genommen. Ohne das übergreifende Moment einer entwickelten industriellen Produktion konnte sich die ökonomische Einheit der Gesellschaft noch nicht auf kapitalistischer Grundlage herstellen. Stattdessen waren und sind die Produktionsbedingungen in weiten Teilen des Landes bis heute noch ganz und gar von den zähen Elementen vorkapitalistischer Produktionsweisen beherrscht.
Die Vorstellung, dass westliche Kapitale und formal eingesetzte staatliche Institutionen unter diesen zur Stagnation tendierenden Voraussetzungen den schnellen Aufbau einer modernen kapitalistischen Ökonomie bewerkstelligen könnten, wurde unter dem Schlagwort des nation building zum Dogma der Besatzungspolitik der Nato. Die nationale Einheit des Landes sollte politisch dekretiert und durch unablässigen Dollarzufluss an neu geschaffene Apparate, NGOs und Entwicklungsprojekte gefestigt werden. Dieser praktizierte Idealismus der USA und ihrer Verbündeten ist jetzt an sein vorhersehbares Ende gekommen. Die US-Regierungen haben seit 2002 1,3 Billionen Dollar in den Staatsaufbau gesteckt, davon knapp 90 Milliarden in Training & Equipment für Armee und Sicherheitskräfte. Bis heute kommen 80 Prozent des afghanischen Staatshaushalts von der internationalen Gebergemeinschaft. Die staatlichen und zivilgesellschaftlichen Institutionen in Afghanistan konnten der Mehrheit der afghanischen Bevölkerung unter diesen ökonomischen Voraussetzungen nicht als politische Formation ihres wirklichen Gemeinwesens gegenübertreten, sondern lediglich als Geschäftsbereich, als Quelle der persönlichen Bereicherung. Als solche wurden sie von den Geldverteilstellen der NATO-Staaten notgedrungen auch betrieben. Um überhaupt mit den finanziellen Mitteln jenseits der großen Städte etwas anfangen zu können, musste die Militärverwaltung mit den örtlichen Warlords und Stammeschefs kooperieren. Auf Basis ihrer Kenntnisse der lokalen Bedingungen, ihrer Verwurzelung in der örtlichen Bevölkerung wurden sie zu autokratischen Managern der Aufbauhilfe, ohne dass sich an den archaischen Familien- und Stammesverhältnissen in ihrem Einflussgebiet etwas änderte. Im Aufbau einer von ihnen kontrollierten Privatwirtschaft auch in ländlichen Regionen konnten sie nun auch im Hinblick auf ihre eigene soziale Hierarchie einen Sinn erkennen, indem sie Entwicklungsaufträge annahmen und das Geschäft in Transport, Bau und Rohstoffgewinnung unter Familienmitgliedern und verbündeten Stammeschefs verteilten. Dieser vom Westen finanzierte Sektor der Warlord-Ökonomie ist mit dem Opiumanbau, dem Waffenhandel und den politischen Machtstrukturen der Taliban auf dem Land so eng verflochten, dass deren technische Infrastruktur und ökonomische Basis nicht ausgetrocknet, sondern im Resultat verbreitert wurde. Nicht zuletzt wurde eine ideologische Flanke geöffnet, mit der die selbsterklärten Gotteskrieger die Korruption und Verbrechen der regionalen Machthaber anprangern konnten. Hier liegt der wirkliche Grund für die rasante Rückeroberung aller Provinzen inklusive der Städte durch die Taliban. Die afghanischen Streitkräfte haben mit ihrem Überlaufen angesichts der wirklichen Machtverhältnisse im gesamten Landesgebiet realistisch gehandelt. Schon lange war bekannt, dass die Taliban in nahezu allen Teilen des Staatsgebiets präsent geblieben waren. Der Krieg um Afghanistan ging nicht durch den schnellen Truppenabzug und unzureichende Ausbildung der einheimischen Streitkräfte verloren. Die Niederlage gegen die Taliban war und ist in der jahrzehntelangen Finanzierung der rückständigen und autokratischen Produktionsverhältnisse in Afghanistan angelegt. Trotz aller Mahnungen der Expert:innen hat die westliche Staatengemeinschaft bis zuletzt keinerlei Bedingungen oder Forderungen für die Finanzierung eines ganzen Staatshaushalts gestellt.
Übernehmen die Taliban nun offiziell die Regierung, wird die finanzielle Unterstützung des Westens zu einem großen Teil wegbrechen. Damit wird allen mühsam aufgebauten Institutionen des politischen Lebens, der demokratischen Öffentlichkeit der Saft abgedreht. Vor allem jungen Frauen, die nach dem Ende der Taliban-Herrschaft in den Städten Schulen und Universität besuchen konnten und vielfach in den Medien und Regierungseinrichtungen arbeiten, wird damit die Existenzgrundlage entzogen. Alle Afghan:innen, die während der letzten 20 Jahre in den versprengten Reservaten einer republikanischen Öffentlichkeit Bildung genießen und sozialen Aufstieg bewerkstelligen konnten, sind, sofern sie nicht bereits nach Pakistan, Iran und die Golfstaaten geflohen sind, jetzt bedroht. Sie können nicht zurück in ein von der Stammesordnung und muslimischer Männerherrschaft begrenztes Leben. Längst sind ihre Bedürfnisse dem engen Kreis der afghanischen Produktionsverhältnisse entwachsen. Die relative kulturelle und politische Freiheit in westlichen Gesellschaften, die sie durch die Besatzer und durch das Internet kennengelernt haben, ist ihnen ein Versprechen, das sie unter widrigsten Umständen zuerst für sich selbst und die Menschen in ihrem Gemeinwesen einlösen wollen. Sie sind die Pionier:innen der überall stattfindenden Umwälzungen archaischer und diktatorischer Verhältnisse durch die universelle Tendenz des Kapitals selbst, die überall die große Masse der Arbeitenden in Proletarierinnen verwandelt. Auch dort, wo die Gemeinwesen nicht auf eigener ökonomischer Grundlage kapitalistische Produktionsverhältnisse ausbilden, sondern durch Entwicklungen und Expansionsbestrebungen jenseits ihrer Grenzen in den Weltmarkt hineingerissen werden, muss die Bewegung für Demokratie und moderne Staatsverhältnisse durch alle Widersprüche hindurch das Feld bereiten, auf dem sich on the long run das Proletariat zur Klasse für sich bilden, selbst zur gesellschaftlichen Aktion fähig werden kann.
Es kann nur der Rückständigkeit deutscher und europäischer Verhältnisse zugeschrieben werden, dass die Bundesregierung diesen Menschen, die unter Einsatz ihres Lebens den Willen zum individuellen Klassenaufstieg und zugleich zum eigentätigen Aufbau liberaler und moderner Lebensbedingungen unter Beweis gestellt haben, den Taliban und dem erwartbar bald einsickernden chinesischem Staatskapital überlassen will. Zweimal hat die deutsche Regierungskoalition beschlossen auf die noch nicht geflohenen, engagierten Ortkräfte verzichten zu können: Einmal, als sie eine Beschlussvorlage zur Rückholung aller Verbindungsleute und logistischer Helfer:innen der Bundeswehr und deutscher NGOs im Juni 2021 abgelehnt hat, und ein zweites Mal, als sie eine gemeinsam koordinierte Transportaktion durch die USA ausschlug, nur um zwei Tage später zu konzedieren, dass ohne die aufgestockte Präsenz der US-Army in Kabul nicht einmal die Rückholung des deutschen Botschaftspersonal möglich gewesen wäre. Während Kanada noch vor der Eroberung Kabuls eine Aktion zur Einwanderung von Frauen in Führungspositionen, Regierungsmitarbeiter:innen, Menschenrechtsaktivist:innen, Journalist:innen und Angehöriger verfolgter Minderheiten angekündigt hat, haben sich von allen europäischen Staaten bislang nur Albanien und Kosovo zur Aufnahme von Flüchtlingen bereit erklärt. Einmal mehr kann eine nicht vorhandene europäische Sicherheitspolitik, etwa in Form einer militärisch-logistischen Aktion der EU-Staaten, nicht tun, was zu tun nötig wäre. Diese Erkenntnis wiederum scheint sich in den letzten Tagen auch denjenigen aufzudrängen, die vom „Verrat“ der Biden-Administration und des demokratischen Westens sprechen.
Biden tut als Präsident der Vereinigten Staaten was er angesichts der angespannten finanziellen Lage und der Überdehnung der militärischen Kräfte weltweit gegen den überall aufmarschierenden Despotismus staatssozialistischer und islamischer Prägung tun kann. Während seit 2001 etwa 3000 amerikanische Soldat:innen und noch einmal so viele „Contractors“, von der US-Regierung bezahlte Söldner, in Särgen auf US-amerikanisches Territorium zurückgekehrt sind und die Zahl derjenigen die verletzt und schwer traumatisiert in ihre Heimat zurückkehren in die Zehntausende geht, sind bisher 59 Bundeswehrsoldat:innen in Afghanistan gefallen. Politisierende Stammtischstrategen und Westentaschengeneräle machen es sich hierzulande sehr leicht, wenn sie fordern, der Militäreinsatz müsse fortgesetzt werden, das US-amerikanische Proletariat möge also bitte weiterhin seine Söhne und Töchter, Väter und Mütter, Geschwister und Freunde dafür hergeben ihre Gliedmaßen durch Granaten abreißen zu lassen, in Panzerwagen zu verbrennen und fürs Leben traumatisiert zu werden, damit einige afghanische Mädchen Lesen und Schreiben lernen! Der hohe Blutzoll, der in den vergangenen 20 Jahren für den unmöglichen Versuch der Befriedung Afghanistans zu zahlen war, ist Wasser auf die Mühlen der Trump-Kampagne. Donald Trump, der als Agent Putins die Wahl zum US-Präsidenten 2017 v.a. mit dem Versprechen gewonnen hat, to bring the troops home, nutzt jede gesellschaftliche Verwerfung für den Ausbau seiner politischen Macht, so auch den Afghanistan-Einsatz, dessen Ende er seinem Nachfolger durch ein Abkommen mit den Taliban als vergiftetes Geschenk hinterlassen hat. Wo sich die Biden-Regierung bereits nach Kräften müht, die ökonomische Lage des Landes durch die Förderung neuer Industrien und öffentlicher Infrastruktur voranzubringen, die privaten Einkommensverluste nach der Corona-Krise durch hohe Sozialausgaben auszugleichen und das drängende Problem der rassistischen Diskriminierung aufs politische Tapet gebracht hat, muss sie sich nun bemühen, auch den fortgesetzten Anschuldigungen der Trumpisten die Grundlage zu entziehen. Der militärische Rückzug ist eine für die afghanische Bevölkerung falsche, aber weltpolitisch pragmatische Entscheidung des US-Administration und ihrer Verbündeten.
Wo nach zwanzig Jahren keinerlei Erfolge für die Demokratisierungsmission mehr in Aussicht standen, wird der ständige Unruheherd nun China überlassen, das von der zu erwartenden Destabilisierung der Region angesichts seiner antimuslimischen Politik und brutaler Repression gegen die Uiguren getroffen werden könnte. Egal, wie gut sich die diplomatischen und ökonomischen Beziehungen zwischen der chinesischen KP und den Taliban entwickeln werden, China wird in Konkurrenz mit dem Iran und Pakistan treten. Vor allem wird China in Zukunft eigene Ressourcen aufwenden müssen, um vor den islamischen Terrorgruppen an der Grenze zur Xinjiang die Ruhe zu erhalten, die es bislang zum Nulltarif und zum Schaden der USA bekommen hat. Zugleich zwingt Biden die Europäer, verstärkt um eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu ringen, indem er ihre Unfähigkeit jenseits der NATO weltpolitisch mit den USA zu kooperieren, vorführt. Wer den Abzug der NATO aus Afghanistan allein als moralisches Verbrechen an der Zivilbevölkerung skandalisiert, betätigt sich mit dieser einseitigen Sicht an der ideologischen Kampagne gegen die westlichen Demokratien, die von Russland und China mehr denn je vorangetrieben wird.
Unter den Konkurrenzverhältnissen des Weltmarkts war und ist eine Demokratisierung Afghanistans ohne entsprechende ökonomische Voraussetzungen in naher Zukunft nicht zu erwarten. Die tausenden geflohenen Dissident:innen im Ausland können unter diesen Bedingungen nur als eine strategische Reserve des demokratisch-revolutionären Teils des afghanischen Proletariats fungieren. Ähnlich wie im Falle der auf die ganze Welt verteilten Exiliraner:innen werden viele von ihnen Gewehr bei Fuß stehen, sobald sich die historische Chance bietet, nachhause zurückzukehren und einen Staat auf Grundlage einer demokratischen Verfassung aufzubauen. Damit würden sich die Bedingungen für die politische Organisierung der proletarischen Klasse in Afghanistan maßgeblich verbessern. Aus diesem Grund ist es im unmittelbaren Interesse des klassenbewussten und revolutionären Proletariats auch hierzulande, dass die einheimischen Helfer:innen, die Angestellten der westlichen Armeen und der Hilfsorganisationen – namentlich die Frauen – per Luftbrücke gerettet werden! Ihnen, die bis zuletzt ausgeharrt haben, um die Zivilisierung ihrer unmittelbaren Lebensverhältnisse in Afghanistan voranzubringen, muss die internationale Solidarität der Kommunist:innen zuvorderst gelten.
Facebook, 25. Mai 2021
Am Samstag, den 22.05.2021, fand in Frankfurt am Main eine Demonstration anlässlich des Todestages von Georg Floyd statt, die von „Black Power Frankfurt“ und der „All-African People’s Revolutionary Party“ organisiert wurde. Zu diesem Anlass haben wir unsere Thesen zur „Black Lives Matter“-Bewegung verteilt.
Die Demonstration war mit einigen hundert Leuten gut besucht. Auffällig waren viele sehr junge Demonstrant:innen. Wie auch bei den diesjährigen Demonstrationen zum 1. Mai zeigte sich außerdem ein Trend in der linksradikalen Szene, der sich mit der Coronakrise zu beschleunigen scheint: ein ideologischer Rollback mit marxistisch-leninistisch anmutenden Parolen, dem ungenierten Bezug auf den Antiimperialismus und diversen Reminiszenzen an die 1960er und 1970er Jahre, im Fall der Frankfurter Demonstration in einer postkolonialen und panafrikanischen Variante.
Hier geht es zum Text: https://proletarischepassagen.com/2020/08/15/a-grey-storm/
Facebook, 17. Januar 2021
..zu #ZeroCovid: Die Phantasie der Vertreterinnen und Vertreter des Bourgeoissozialismus, die sich in ihren Plänen für eine bessere Gesellschaft betätigt, ist so beschränkt wie der Realismus, der nur ihrer Vorstellung von der bestehenden Gesellschaft folgt. Der Staat erscheint ihnen von der Gesellschaft getrennt, nutzbar für ihre Zwecke, solidarisch und human. Mit den richtigen Maßnahmen soll er jetzt endlich die Pandemie wirksam eindämmen, mit dem richtigen Personal an der Spitze die sozial gerechte Gesellschaft aufbauen. Gegen Vorstellungen solcher Art verweisen wir freundlich auf wenige Absätze aus Marx‘ Kritik an Arnold Ruge aus dem Jahr 1844 und empfehlen zur Einordnung natürlich den ganzen Artikel zu lesen:
„Endlich suchen alle Staaten in zufälligen oder absichtlichen Mängeln der Administration die Ursache, und darum in Maßregeln der Administration die Abhülfe seiner Gebrechen. Warum? Eben weil die Administration die organisierende Tätigkeit des Staats ist.
Den Widerspruch zwischen der Bestimmung und dem guten Willen der Administration einerseits, und ihren Mitteln wie ihrem Vermögen andrerseits, kann der Staat nicht aufheben, denn er beruht auf diesem Widerspruch. Er beruht auf dem Widerspruch zwischen dem öffentlichen und dem Privatleben, auf dem Widerspruch zwischen den allgemeinen Interessen und den Sonderinteressen. Die Administration muss sich daher auf eine formelle und negative Tätigkeit beschränken, denn wo das bürgerliche Leben und seine Arbeit beginnt, eben da hat ihre Macht aufgehört. Ja, gegenüber den Konsequenzen, welche aus der unsozialen Natur dieses bürgerlichen Lebens, dieses Privateigentums, dieses Handels, dieser Industrie, dieser wechselseitigen Plünderung der verschiedenen bürgerlichen Kreise entspringen, diesen Konsequenzen gegenüber ist die Ohnmacht das Naturgesetz der Administration. […]
Wollte der moderne Staat die Ohnmacht seiner Administration aufheben, so müßte er das jetzige Privatleben aufheben. Wollte er das Privatleben aufheben, so müßte er sich selbst aufheben, denn er existiert nur im Gegensatz zu demselben. Kein Lebendiger aber glaubt die Mängel seines Daseins im Prinzip seines Lebens, im Wesen seines Lebens begründet, sondern in Umständen außerhalb seines Lebens. Der Selbstmord ist widernatürlich. Also kann der Staat nicht an die inwendige Ohnmacht seiner Administration, das heißt seiner selbst glauben. Er kann nur formelle, zufällige Mängel derselben einsehn und ihnen abzuhelfen suchen. Sind diese Modifikationen fruchtlos, nun so ist das soziale Gebrechen eine natürliche, vom Menschen unabhängige Unvollkommenheit, ein Gesetz Gottes, oder der Wille der Privatleute ist zu verdorben, um den guten Zwecken der Administration entgegenzukommen. Und welche verkehrte Privatleute? Sie murren gegen die Regierung, so oft sie die Freiheit beschränkt, und sie verlangen von der Regierung, die notwendigen Folgen dieser Freiheit zu verhindern!“
Marx, Kritische Randglossen zu dem Artikel eines Preußen, MEW 1, S. 401-402